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Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)

Titel: Der Klang des Pianos: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Büchle
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dunklen, nebelverhangenen Gassen.

Kapitel 41
    Der Wind frischte auf und mit ihm der Seegang, was die bedrohliche Lage der Männer auf dem gekenterten, tief im Wasser liegenden Klappboot verschärfte. Die Luftblase unter dem Bootskörper schrumpfte und ließ das Rettungsboot noch weiter sinken. Den Männern gelang es mühsam, ihre Lage so weit zu stabilisieren, dass sie nun alle aneinandergeklammert aufrecht standen, wobei das Wasser, welches nun über den Rumpf schlug, erst ihre Knöchel und schließlich ihre Beine umspülte.
    Mindestens zwei Männer hatten inzwischen den Kampf gegen die Unterkühlung verloren und waren ins Wasser gerutscht. Adam wagte kaum noch, auch nur den Kopf zu drehen. Alles an ihm schien vor Kälte erstarrt zu sein. Kleine silberne Eiszapfen hingen ihm in den Haaren und im Bart und selbst auf seinen Augenbrauen und den Wimpern lag eine dünne Schicht aus Eis. Die Matrosenuniform war hart gefroren und rieb ihm bei jeder kleinen Bewegung über den ausgekühlten Körper. Seine Füße waren taub, aber dennoch sorgte er sich nicht um die Erfrierungen, die er vermutlich davontragen würde, zumal sein Denken einzig darauf ausgerichtet schien, den Morgen herbeizusehnen und damit ein Schiff, dass sie retten würde.
    Gelegentlich hatten sie Lichter oder die schwarzen Umrisse anderer Rettungsboote zwischen den auf dem Wasser treibenden Eisschollen gesehen, was sie dazu verleitet hatte, gemeinsam nach ihnen zu rufen, um sie auf sich aufmerksam zu machen. Aber entweder hatte man sie nicht gehört, oder ihre Schreie waren ignoriert worden. Dabei wusste Adam und mit Sicherheit auch Lightoller, dass in den meisten der Boote noch genug Platz für weitere Menschen vorhanden war.
    Noch immer nahmen die Wellen an Größe und Heftigkeit zu und schwappten den verzweifelt aneinander festgekrallten Männern schließlich um die Hüfte. Adam beobachtete die Sterne, deren Leuchtkraft allmählich nachließ, als würden sie ihr Bemühen aufgeben, ihnen ihr tröstliches Licht zu schenken. Dafür erschien am Horizont ein sich langsam ausbreitender heller Streifen. Der Morgen graute. Die schlimmste Nacht seines Lebens war vorbei, doch sollte er überleben, würde er sie in seinen Gedanken und Träumen wohl immer neu durchleiden. Wo konnte er Trost und Hilfe finden? Wer würde seiner gepeinigten Seele, die hundertfach die Rufe der Sterbenden tief in sich aufgenommen zu haben schien, Heilung schenken? Erneut war es der raue Geselle neben ihm, der ihm mit seinem halblaut gemurmelten Gebet eine Möglichkeit aufzeigte.
    Und wieder einmal rief eine Stimme, die selbst voll Zweifel klang: „Topplicht! Ein Topplicht!“ Adam spürte, wie ihr Untersatz bedrohlich schwankte, weil sich mehrere Männer bewegten. Dann sah auch er es: Weit entfernt, aber diesmal unzweifelhaft echt, strahlte das Licht eines sich nähernden Schiffes über das dunkle, aufgewühlte Wasser.
    „Die Carpathia!“, krächzte Bride über das Schlagen und Platschen der Wellen hinweg, und erneut wurden Gebete gemurmelt.
    „He!“, rief einer der Trimmer. „Vier Rettungboote im Verbund auf Steuerbord.“
    Verwundert registrierte Adam diese gute Nachricht. Aus dieser Richtung hatten sie bisher noch keine Lichter gesehen und deshalb auch keine weiteren Überlebenden vermutet.
    Lightoller, der seine Bootspfeife noch bei sich trug, blies seinen bebenden, eiskalten Lippen zum Trotz laut hinein.
    „Los, rüber mit euch und nehmt uns auf!“, schrie er den Insassen der gut eine halbe Meile entfernten Boote zu. Diese waren aneinandergebunden worden, wohl weil die Passagiere hofften, auf diese Weise von der Besatzung eines zu Hilfe eilenden Schiffs besser gesehen zu werden.
    „Aye, Sir!“, lautete die leise Antwort, und wenig später verließen zwei der Boote den Verbund und kamen auf sie zu.
    Erleichterung machte sich in Adam breit. Er löste seine steifen Finger ein wenig von der Schulter des Vordermanns und bezahlte diese Bewegung beinahe mit einem Sturz ins Wasser. Auch die anderen Männer wollten sich voll Vorfreude auf ihre Rettung den nahenden Booten zuwenden.
    „Nicht rangeln“, warnte der Zweite Offizier. „Wir wechseln einer nach dem anderen über, damit das Floß nicht kentert.“
    Als Adam an der Reihe war, tastete er sich vorsichtig voran und stieg langsam in das Boot. Lightoller war der Letzte, der das Engelhardtboot verließ. Zuvor reichte er noch einen Toten hinüber, bei dem bereits die Leichenstarre eingesetzt hatte. Da die beiden Rettungsboote,

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