Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
Und er meinte, dieser Ryan könne einpacken. Nach Chloes Aktion wird kein gut betuchter oder sogar in der Gesellschaft bekannter Gentleman mehr seinen Fuß in dieses Etablissement setzen. Und wenn Danny erst einmal über Katie, Amy, Leah und Susan berichtet hat, wird Ryan Cowen mit Sicherheit unangenehmen Polizeibesuch erhalten.“
„Das war sehr gefährlich“, murmelte Ella, obwohl sie diejenige gewesen war, die die entscheidende Idee mit dem Journalisten eingebracht hatte.
„Es ist ja alles gut gegangen!“, freute sich Norah überschwänglich. „Schade nur, dass Danny keine Fotografie von Ryan machen konnte. Wenn sein Gesicht in dem Bericht in der Zeitung wäre, müsste er Belfast, vielleicht sogar Irland verlassen.“
„Zu uns war er sehr freundlich“, mischte sich plötzlich die bisher schweigsame Violetta ein. „Er ist erst so wütend geworden, als Amy verschwand.“ Violetta sah Norah nachdenklich an und erklärte dann sehr leise: „Er hat keinen Gast an sie rangelassen und sie ausgestattet und gepflegt wie einen wertvollen Schatz. Er ging mit ihr sogar ins Theater und nahm sie mit in sein Haus. Ich glaube, er hat die Kleine geliebt – und sie ihn auch.“
„Sie war erst fünfzehn“, begehrte Ella auf.
„Wir haben immer angenommen, sie käme eines Tages wieder“, meinte Violetta noch, ehe sie wieder in Schweigen versank.
„Dass sie es nicht tat, ist ein Zeichen dafür, dass sie nur auf seine Geschenke und seine Aufmerksamkeiten fixiert war; mehr aber auch nicht. Ihre alte Großmutter hätte sie niemals zurückhalten können, wenn sie ernsthaft zu ihm zurückgewollt hätte. Vielleicht ist sie aus ihrer kindlichen Schwärmerei aufgewacht, als Norah sie dort fortschaffte.“
Chloe drückte Norahs Arm und lächelte sie beruhigend an. Norah erwiderte ihr Lächeln. Der Zuspruch ihrer Freundin tat ihr gut.
„Und jetzt ist es an uns, Norah hier wegzubringen“, erinnerte Ella die anderen daran, wie präsent die Gefahr noch immer war.
Norahs Gesicht wurde ernst. Sie wollte sich nicht verstecken müssen. Es lag ihr nicht, sich still und ohne eine Aufgabe an immer demselben Ort aufzuhalten.
„Vielleicht verschwindet Ryan ja, sobald er von dem von euch veranstalteten Theater hört. Er muss nicht nur die Polizei und weitere Presse fürchten, sondern auch Ärger vonseiten der Männer, die Danny fotografiert hat. Immerhin nahmen die doch an, sie seien in seinem Etablissement geschützt.“
„Das können wir hoffen, aber vorsichtig sein müssen wir trotzdem“, entschied Chloe und folgte mit den Augen Norah, die wieder einmal unruhig auf und ab ging.
„Meine Eltern wissen noch nicht einmal, dass ich in Belfast bin“, beklagte sie sich.
„Das macht nichts, Sternchen. Sie denken, du bist auf der Titanic, und wir lassen sie am besten in der Annahme. Dann machen sie sich keine Sorgen um dich.“
„Und wo wollt ihr mich hinbringen?“, fragte Norah, die sich insgeheim über die resolute, die Führung an sich reißende Chloe amüsierte.
„Das weiß ich auch noch nicht“, gestand Chloe mit einem Schulterzucken und reizte Norah dadurch zum Lachen.
„Ich sollte Miss Andrews noch danken und ihr mitteilen, dass Katie gut nach Hause gekommen ist“, überlegte Norah laut. Da sie noch immer ruhelos zwischen der Tür und dem Tisch unterwegs war, entging ihr Chloes gerunzelte Stirn. „Vielleicht kann ich sie fragen, ob ich zwei Tage in einem der Gästehäuser wohnen darf.“
„Die Frau hat dich ins offene Messer laufen lassen, Norah!“, begehrte Chloe auf. „Du wurdest einfach im Stich gelassen und warst diesem Ryan schutzlos ausgeliefert. Es war keiner der von Mr Beckett angekündigten Polizisten vor Ort.“
„Aber das ist doch nicht Miss Andrews’ Schuld! Dieser Beckett hat das nicht richtig organisiert, oder er hat die Lust verloren, weil Miss Andrews ihm nicht genug Geld dafür geboten hat“, verteidigte Norah Helena, obwohl sie sich diesbezüglich selbst nicht ganz sicher war.
„Du gehst da gar nicht mehr hin. Ich traue dieser Frau nicht.“
Norah zögerte. Ob sie sich in Helena gründlich geirrt hatte? Dies herauszufinden war vermutlich einfach: Sie musste nur zu ihr gehen und sich für ihre Hilfe bedanken, dann würde ihre Reaktion mehr verraten als jede noch so schlüssig vorgebrachte Vermutung vonseiten Chloes. Norah hoffte jedoch sehr, dass das Ausbleiben jeglicher Unterstützung für sie in der vergangenen Nacht einzig auf einen Irrtum zurückführen war.
Chloe senkte den Kopf.
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