Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
ihr, schaute allerdings an ihr vorbei auf die reglos daliegende Susan, ehe er sich abwandte und zu Dylan, Danny und Adam hinüberging. Die drei Männer begrüßten ihn gewohnt freundlich.
„Schön, dass du reinschaust“, sagte Adam.
„Ich bin mehrmals am Tag hier“, erklärte Richard leise und begrüßte Chloe und Catherine mit einem Nicken.
„Hey, hast du uns gesehen, als wir gekommen sind?“, fragte Dylan, und sein Tonfall klang verdächtig lauernd.
„Nein“, erwiderte Richard arglos und verschwand in den Flur.
Norah warf dem Freund ihres Bruders einen warnenden Blick zu, doch dieser grinste nur und rief hinter Richard her: „Das hätte mich auch sehr gewundert.“
Richard reagierte nicht, und Norah vermutete, dass er sich aus Prinzip nicht mit jemandem unterhielt, indem er von einem Zimmer in ein anderes brüllte. Allerdings konnte seine Zurückhaltung auch andere Gründe haben.
Dylan wäre nicht Dylan gewesen, hätte er das Thema nun fallen gelassen. „Geht’s voran mit der schönen Helena, Rick?“
„Geht’s dich was an, Dylan?“, fragte Richard ungewohnt schlagfertig zurück, nachdem er das Zimmer mit einem Stapel Handtücher im Arm wieder betreten hatte.
Dylan, Danny und Adam fingen die Handtücher auf, die Richard ihnen zuwarf. Chloe, Catherine und Norah bekamen sie gereicht.
Prüfend schaute Norah zu Richard hinüber, als er vor dem Bett stehen blieb und sich das Gesicht abtrocknete. Er hatte Dylans Spöttelei einfach ignoriert; vermutlich war das kein Thema, über das er sich mit dem Heizer unterhalten wollte. Auch sie wollte nichts darüber hören – und das nicht nur, weil es sie nichts anging.
„Hast du noch mal mit dem Arzt gesprochen?“ Norah atmete erleichtert auf, als Chloe ein anderes Gesprächsthema anschnitt.
„Er wollte gerade gehen, als Miss Andrews und ich am Tor eintrafen. Susans körperliche Verletzungen heilen, sagt er, er vermutet aber, dass die Wunden in ihrer Seele sie davon abhalten, wieder aufzuwachen.“
„Hey, gibt es so was wie Wunden der Seele überhaupt?“, brummte Dylan.
„Bei dir vermutlich nicht“, konterte Adam knapp, und Dylan grinste ihn an.
„Das heißt, der Arzt denkt, sie könnte noch lange in diesem Zustand bleiben?“, hakte Chloe nach, die an diesem Abend ihre fröhliche, schwungvolle Art völlig verloren zu haben schien.
Norah wandte den Kopf, um Richard ansehen zu können. Dessen Haare, die er zuvor kräftig mit dem Handtuch bearbeitet hatte, lockten sich jetzt wild um seinen Kopf. Er zog lediglich die Schultern hoch und wich ihrem Blick aus.
Schweigen herrschte in dem großen, vornehm eingerichteten Zimmer, und irgendwann hielt Norah die Stille und Untätigkeit nicht mehr aus. Sie sprang auf die Füße und verließ den Raum, um im Flur wieder einmal ruhelos hin und her zu gehen.
Ihr Kummer über Susans Zustand und die immer noch verschwundene Leah wuchs ständig, je länger sie tatenlos herumstand. Dazu gesellte sich der Schmerz darüber, dass sie zu spät erkannt hatte, wie sehr sie Richard in ihr Herz geschlossen hatte. Vielleicht, wenn sie ihm ein wenig mehr gezeigt hätte, dass sie ihn …
Norah drehte sich abrupt um und setzte ihren Weg in die andere Richtung wieder fort. Es war ihr noch nie so schwer gefallen, eine Sache, die sie nicht ändern konnte, einfach hinzunehmen. Ihre Liebe zu Richard hatte Norah so überraschend getroffen, wie eine vom Wind herbeigewehte Wolke einen kräftigen Regenguss auf Belfast hinunterschickte.
Schließlich öffnete Norah ganz leise und nur einen kleinen Spalt weit die Eingangstür und schlüpfte flink hinaus. Es fiel kein Regen mehr aus den tief hängenden grauen Wolken, doch nach wie vor blies ein kräftiger Wind von der Küste her über das Land. Norah lief über den Rasen, der so durchweicht war, dass das Wasser unter jedem ihrer Schritte mit einem klatschenden Geräusch weit aufspritzte. Bald erreichte sie den Zaun und folgte ihm bis zum Nebeneingang in der Hawthornden Road.
Der Wind wehte ihr ihre feuchten Haare ins Gesicht, und sie strich sie mit einer Hand zurück, während sie mit der anderen das Tor öffnete und hinaus auf die Straße trat. Sie nahm sich nicht einmal die Zeit, das Tor wieder zu schließen. Mit schnellen Schritten lief sie zielstrebig die Straße hinunter in Richtung Queen’s Square.
Eine Fliege hatte sich in das Zimmer verirrt und summte laut vor sich hin. Dylan erhob sich und erledigte das Problem mit einer schnellen Handbewegung.
Richard richtete seinen
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