Der Klang des Pianos: Roman (German Edition)
draußen und rannten über den glitschigen Rasen zum Haupttor. Richard lief voraus, wurde von Adam aber derb am Kragen gepackt und in die entgegengesetzte Richtung gezerrt. Die beiden Männer kannten offensichtlich einen kürzeren Weg.
„Dieses verrückte Mädchen“, schimpfte Dylan und schlug im Laufen einmal kräftig mit der Faust gegen einen Holzzaun.
Richards Angst um Norah steigerte sich mit jedem weiteren Schritt, den sie zurücklegten. War sie auf dem Weg in das Etablissement, in dem sie Leah vermutete? Was würden sie dort vorfinden? Kamen sie zu spät? Er untersagte es sich, weiter darüber nachzudenken, und konzentrierte sich aufs Laufen über die noch nassen, teilweise glitschigen Pflastersteine.
Chloes Herz zog sich bei Susans Anblick schmerzlich zusammen. Sie war eine schwungvolle und gelegentlich auch laute Frau, aber mit demselben Überschwang, mit dem sie Freude und Glück erlebte, fühlte sie auch Schmerz und Trauer. Susans und Leahs Schicksal ging ihr sehr nahe, immerhin kannte sie die beiden Mädchen von Kindesbeinen an.
Die Schwestern waren nach dem frühen Tod der Eltern zu einer Tante nach Belfast gebracht worden. Chloe hatte sie unterrichtet, so wie sie jetzt Sean, Katie und den anderen Kindern Lesen, Rechnen und Schreiben beibrachte. Susan war 16 Jahre alt gewesen, als auch die Tante verstarb. Seither boxten sich die beiden allein durch das nicht gerade einfache Leben bei den Docks.
Danny ließ sich mit den für ihn typischen flinken Bewegungen neben ihr auf dem Boden nieder. Er lehnte sich mit dem Rücken gegen das Bettgestell und musterte sie hinter seinen runden Brillengläsern. Unangenehm berührt versuchte Chloe ihn zu ignorieren. Es war nicht so, dass sie ihn unsympathisch fand oder ihr die offensichtliche Aufmerksamkeit nicht schmeichelte, die er ihr entgegenbrachte, aber Chloe hatte sich nun einmal dafür entschieden, allein durchs Leben zu gehen.
Sie war inzwischen 39 Jahre alt und hatte die schmerzliche Erfahrung gemacht, dass sich kein Mann ernsthaft für eine Frau ihres Körperumfangs interessierte. Es war einfach lächerlich, dass da plötzlich ein kleiner Mann, zudem dünn wie ein Hering, auftauchte und ihr schöne Augen machte. Und das, obwohl er offenbar ein halbwegs erfolgreicher Journalist war und selbst wohl schon auf die 50 zuging. Allerdings erwies er sich als sehr hartnäckig, was seine Annäherungsversuche ihr gegenüber anbelangte; vielleicht brachte das sein Beruf mit sich.
„Chloe?“ Sie hob die Augenbrauen, ohne den Blick von Susans entstelltem, fahlem Gesicht zu nehmen.
„Ich möchte mich nicht aufdrängen, Chloe“, begann Danny, und sie verspürte große Lust, ihm deutlich zu sagen, dass er aber genau dies tat. „Aber falls du das Gefühl hast, ich könnte euch im Blick auf Leah und Susan in irgendeiner Weise von Nutzen sein, dann sag es mir bitte.“
Chloe schluckte. Da hatte sie Danny wohl unrecht getan. Sie schenkte ihm ein dankbares Lächeln und murmelte: „Falls du betest, Danny, dann bestürme den Thron Gottes um Hilfe und Schutz für Susan, Leah und das Sternchen! Du siehst ja, was dieser Kerl mit einer Frau gemacht hat, die ihm nichts getan hat, die ihn zuvor vermutlich nicht einmal kannte. Und Norah …“
Chloe war nicht in der Lage weiterzusprechen. Die Angst um ihre Freundin schnürte ihr regelrecht die Kehle zu.
Kapitel 21
Sanftes Licht und angenehme Wärme umfingen Norah, als sie durch die Tür trat. Der überwiegend in Weinrot gehaltene große Eingangsbereich sah noch immer so aus wie vor einem Jahr, jedoch war der Türsteher ein anderer, wie sie erleichtert feststellte. Norah richtete sich zu ihrer vollen Größe auf und strich sich die feuchten Strähnen aus dem Gesicht.
„Kann ich Ihnen helfen, Miss?“, sprach der Mann sie an und musterte sie dabei unverhohlen von oben bis unten.
Norah wusste, dass sie in ihrem durchnässten Zustand wie eine streunende Katze aussah, doch darüber konnte sie sich jetzt keine Gedanken machen. Sie hatte ein Ziel vor Augen und würde sich auch von diesem Kerl, der förmlich über ihren Anblick die Nase rümpfte, nicht aufhalten lassen.
„Ich möchte zu Miss Violetta“, erklärte sie mit fester Stimme, erleichtert darüber, sich den Namen der Frau gemerkt zu haben, den die junge Amy nach ihrer unfreiwilligen Rettung aus dem Bordell einmal erwähnt hatte. Ihre Beine zitterten, und sie fühlte einen schmerzhaften Druck in ihrer Magengegend. Misstrauisch sah sie sich um. Am liebsten hätte sie
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