Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
hinterher. Sie hakte sich bei ihr ein.
»Komm, Anna«, sagte sie vertraulich, »wir beide brauchen jetzt eine Tasse Tee.«
Anna antwortete nicht. Sie schüttelte nur den Kopf und schluckte, um die Tränen zurückzuhalten. Louise platzierte sie am Küchentisch und kochte Tee. Der Wasserkessel begann zu zischen, als sie ihn auf den Herd stellte. Sie stellte ein paar Schokoladenplätzchen auf einer Untertasse vor Anna hin. Anna starrte immer noch auf die Tischplatte. Unter anderen Umständen hätte sie auf die Plätzchen geschielt und vermutlich gleich zwei gegessen.
Lautlos schloss Louise die Tür zur Diele und nahm dann neben Anna Platz. Sie strich ihr beruhigend über den Rücken.
»Hast du heute Nacht schlafen können, Anna?«, fragte sie vorsichtig.
»Ach, Louise … «, begann Anna, konnte aber nicht weitersprechen. Sie wandte den Kopf ab, um Louise nicht ansehen zu müssen.
Louise machte beruhigende Geräusche und strich ihr weiter über den Rücken.
»Ich weiß. Es kommt einem alles so unwirklich vor.«
Anna schluckte und verbarg ihr Gesicht in ihren Händen. Mit kreisenden Bewegungen massierte sie sich die Schläfen, um zu sich zu kommen.
»Als sie mit dem Messer in der Hand hier stand, hatte ich das Gefühl, dass sie genauso gut auch mich erstechen könnte«, flüsterte sie heiser. Sie räusperte sich angestrengt.
»Aber du warst da, und du hast es ihr abgenommen. Das war mutig.«
»Sie hätte mich töten können. Ich hatte nicht einmal Angst davor. Es wäre eine Befreiung gewesen. Du ahnst gar nicht, wie sehr er mir fehlt.«
»Anna. Nein. Das ist der Schock. Es hat keinen Sinn, dem negativen Sog nachzugeben, hörst du?«
Anna sah sie erstaunt an.
»W ie kannst du nur so gelassen sein? Du bist trotz allem, was du durchgemacht hast, so gefasst.«
»Ich wirke vielleicht nach außen hin ruhig, aber dir ist sicherlich klar, wie traurig ich bin.«
»Es muss für dich die Hölle sein.«
Louise stand auf, um den pfeifenden Wasserkessel vom Herd zu nehmen. Mit dem Rücken zu Anna goss sie den Tee auf und stellte ihnen dann beiden eine dampfende Tasse hin.
»Ja«, entgegnete sie, als sie sich wieder an den Tisch setzte, »das ist die Hölle. Alles ist einfach zum Teufel gegangen. Man glaubt, man kennt die Menschen, die einem nahestehen, aber dann zeigt es sich, dass man überhaupt nichts weiß. Alles ist nur eine große Lüge.«
»Louise, ich werde damit … « Anna begann zu schluchzen.
»Jetzt reicht’s!«, sagte Louise überraschend hart. »Du musst stark sein. Genauso stark wie ich. Es bringt nichts, wenn du jetzt durchdrehst. Gerade jetzt ist es am schwierigsten, zu einem Gleichgewicht zurückzufinden, aber wir müssen uns über alles hinwegsetzen, uns zur Konzentration zwingen und die Verantwortung für das übernehmen, was geschehen ist.«
Anna sah sie entsetzt an.
»Du meinst, ich soll der Polizei erzählen, was geschehen ist?«
Louise lachte unfreundlich.
»Jetzt hörst du mir zu, Anna«, sagte sie. Nach einer kurzen Pause sprach sie dann langsam und deutlich weiter, damit Anna auch alle Worte wirklich verstand. »Du sollst einfach den Mund halten. Hörst du? Kein Wort, das unsere Freundschaft gefährden könnte, und damit meine ich das gesamte Quartett. Wir haben Raoul trotz seiner Fehler und Verfehlungen geliebt, denk daran. Denk an all das Schöne und Positive, denn das sind die Erinnerungen, die auf Dauer Bestand haben. Der Verrat und der Wahnsinn kamen erst ganz am Schluss. Es hatte etwas von Irrsinn. Er war nicht er selbst. Der Raoul, den ich kannte, hätte mir das nie angetan, und ich weigere mich zu glauben, dass er seine Pläne wirklich umgesetzt hätte.«
Sie schwiegen.
»Louise, du verschließt vor der Wirklichkeit die Augen. Du belügst dich, weil du die Wahrheit nicht ertragen kannst«, sagte Anna. Ihre Stimme war klar und unsentimental.
»Hast du die Kraft, die Wahrheit zu ertragen, Anna?« Sie war ihr ganz nahe gekommen, und ihre Augen waren nur wenige Zentimeter voneinander entfernt. Anna schlug den Blick nieder.
»W as ist schon Wahrheit? Von welcher Wahrheit sprechen wir?«, fragte Louise und fasste Anna ans Kinn, um ihre Aufmerksamkeit zu erzwingen. Als Anna die Kälte in Louises Augen sah, packte sie das Entsetzen. Sie riss ihren Kopf zurück und wandte den Blick ab.
»W er hat das Recht, die Gerechtigkeit zu definieren?«, flüsterte Louise. »Ist es gerecht, dass wir für Raouls Taten leiden sollen? Sollen wir mit den Konsequenzen seiner egoistischen
Weitere Kostenlose Bücher