Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
sich über einer grauen Kapuzenjacke aus Velours. Ihre Jeans war zu eng. Sie unternahm einen erfolglosen Versuch, die Beine übereinanderzuschlagen, und stellte die Füße dann nebeneinander vor den Stuhl.
»W ir versuchen, Klarheit in die Umstände des Todes von Raoul Liebeskind zu bringen«, begann Ebba und betrachtete die Frau, die ihr gegenübersaß. Schräg hinter ihr saß Vendela, wie ein greller Kontrast voller Leben. Anna nickte und räusperte sich leicht.
»W ie lange kannten Sie Raoul?«
»Seit fünfundzwanzig Jahren.«
Die Stimme war schwach. Jedes Wort schien sie anzustrengen.
»W aren Sie gute Freunde?«
»W ir … wir waren eine Weile verlobt.«
»W ann war das?«
»Kurz nachdem ich die Musikhochschule in Stockholm beendet hatte. Ich zog für eine Zeit zu ihm nach New York.«
»W ie lange?«
»Ich blieb nur ein halbes Jahr. Dann ging es zu Ende.«
»W as war der Grund?«
Anna zuckte mit den Achseln und schaute aus dem Fenster.
»Es ging zu Ende. Ganz einfach. So ist das mit Beziehungen. Aber wir hatten immer noch ein starkes Zusammengehörigkeitsgefühl.«
»Eine Freundschaft.«
Anna fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen, und ein kleines Lächeln erhellte ihr Gesicht.
»W ir kamen uns in diesen Tagen wieder sehr nahe. Vielleicht nicht ganz unerwartet. Aber gleichzeitig war es ja so lange her, dass wir … wie auch immer … Es war fast so, als habe die Zeit stillgestanden. Die Gefühle waren immer noch dieselben.«
»Auf beiden Seiten?«
Einen kurzen Augenblick lang wirkte Anna lebhafter. Sie sah Ebba mit einem vorwurfsvoll-erstaunten Blick an.
»Ja. Wieso denn nicht?«
»Haben Sie die Beziehung wiederaufgenommen?«
»Ich weiß nicht, ob man das als Beziehung bezeichnen kann, aber es wirkte wie ein Anfang. Raoul ist ja … war ja verheiratet, und die Situation war nicht ganz einfach.«
Ebba tippte auf ihrem Computer, damit Anna zwischen den Fragen ausruhen konnte und damit sie selbst sich eine Meinung über ihren Charakter bilden konnte. Aus den Augenwinkeln sah sie eine wettergegerbte Frau, die älter aussah als ihre Anfang vierzig. Aber Anna war mehr als nur eine Person mit einem ungeschminkten, verquollenen Gesicht. Auch Vendela versuchte, sich ein Bild von ihr zu machen, aber Anna wirkte gänzlich entrückt, ihr Blick hatte etwas Abwesendes, Verschwommenes. War sie verkatert? Möglich. Ein ordentliches Besäufnis war vermutlich angezeigt, wenn der Exverlobte plötzlich auf einer idyllischen Schäreninsel starb.
»W ie fühlten Sie sich, als Sie von Raouls Tod erfuhren?«
Anna verließen jetzt auch noch ihre letzten Kräfte. Sie wandte den Kopf ab, um ihre Tränen zu verbergen. Mit zitternder Hand wischte sie sich über die Nase und versuchte dann, dem Weinen Einhalt zu gebieten. Ebba nahm ein Papiertaschentuch aus ihrer Tasche und reichte es ihr. Sie hatte zwei Pakete griffbereit.
»Lassen Sie sich Zeit«, sagte Ebba. Vendela regte sich nicht. In ihrer Zeit mit Ebba hatte sie sich daran gewöhnt, dass recht viel Zeit mit Warten und dem Sammeln von Eindrücken verging. Sie machte sich unsichtbar, war aber entspannt aufmerksam. Wenn Leute sich sicher fühlten, verrieten sie manchmal mehr, als sie selbst ahnten. Aber Anna war vollkommen abgestumpft und passiv. Vielleicht ist ihre gesamte Aufmerksamkeit nach innen gekehrt, überlegte Vendela. Sie musste das Unerhörte verarbeiten. Vielleicht war Raoul Liebeskinds Tod so unwahrscheinlich und daher so undenkbar gewesen.
»Ich habe es immer noch nicht begriffen.« Die Worte erklangen, ohne dass sich die Lippen nennenswert bewegt hätten. Es wirkte, als denke sie laut. »Ich … ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so leer gefühlt.«
Ebba beugte sich etwas vor. »Haben Sie gesehen, was geschehen ist?«
Anna starrte auf die Tischplatte und schüttelte langsam den Kopf.
»W ir saßen da und unterhielten uns … und dann, als ich ihn das nächste Mal sah, war er tot.«
»Sie unterhielten sich also?«
»W ir pflegten in diesen Tagen hier auf der Insel einen sehr intensiven Umgang. Hätte ich aus der Zeitung von seinem Tod erfahren oder von Louise, dann wäre es nicht so schrecklich gewesen. Ich wäre natürlich genauso traurig gewesen, aber es ist ja gerade diese Nähe, die es so … unwirklich und unfassbar macht.« Ihre Hände zitterten, als sie sich einige Locken hinter die Ohren strich.
»Könnten Sie das näher erklären?«
Anna saß vollkommen bewegungslos, immer noch ohne Ebba oder Vendela anzuschauen.
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