Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
Täterinnen übrig blieben. Der Schwangerschaftsabbruch war also entweder ein Quell unbezwingbarer Wut oder er spielte in diesem Zusammenhang keine Rolle.
Raouls Tod war geplant gewesen. Wahrscheinlich hatte er nichtsahnend ein Glas Wein mit Dexofen getrunken. Jemand hatte ihm ein Glas eingeschenkt. Jemand, dem er vertraute, hatte ihm die Tabletten gegeben. Es musste nicht mal dieselbe Person gewesen sein. Vielleicht hatten sie ja auf ihre Versöhnung angestoßen? Oder um etwas zu feiern? Aber wer hatte ihm mit geheuchelter Freundschaft den Tod gereicht? Wer hatte es nicht ertragen können, dass Raoul lebte? Wie viele der jüngsten Enthüllungen waren nur ein Mittel gewesen, um etwas zu verschleiern, was absolut nicht ans Licht kommen durfte?
Als Ebba nach dem Mittagessen ins Büro fuhr, schob sie eines von Beethovens letzten Streichquartetten, Opus 127 in Es-Dur, in den CD -Player. Das Streichquartett war perfekt, die beiden Geigen bildeten das Gegengewicht zum Cello und zur Bratsche. Es entstand eine gewaltige Kraft, als die Instrumente voneinander wegstrebten, aber gleichzeitig zusammengezwungen wurden, um den gemeinsamen Klangkörper zu bilden. Sie dachte an die Einladung, bei der sie Helena Andermyr zum ersten Mal begegnet war. Helena hatte vom Furioso Quartett erzählt. Es dauere mehrere Jahre, bis ein Streichquartett zu seinem persönlichen Klang gefunden habe, der es von allen anderen Quartetten unterschied. Eifer, intensive Arbeit, Geben und Nehmen, Aufopferungen, sowohl musikalische als auch persönliche, formten die Mitglieder. Der ständige Kampf um die Verbesserung des Ausdrucks führe jedoch auch zu gefühlsmäßigen Spannungen. Man pflege deswegen nicht selten privat keinen Umgang und weigere sich auf Tourneen Hotelzimmer zu teilen. Sie müssten sich nicht einmal gegenseitig sympathisch finden, um zusammen fantastisch spielen zu können. Vielleicht, dachte Ebba, ist das sogar die Voraussetzung. Man musste sich erst einmal selbst behaupten, um sich dann assimilieren zu können. Die Frage lautete also nicht so sehr, wer Raoul am meisten gehasst hatte, sondern auf welche Weise seine Anwesenheit das normale Gleichgewicht des Furioso Quartetts beeinflusst hatte.
Im Dezernat traf sie Vendela auf dem Korridor. Sie betraten gemeinsam Ebbas Büro.
»Na, Vendela, was gibt es heute für einen Klatsch?«
»Gratuliere«, sagte diese mit einem verärgerten Lächeln. »Du hattest recht. Keine besonderen Umstände bei Carolines Geburt. Britt-Marie ist die Mutter. Meine ganze phänomenale These ist also hinfällig.«
»Jedenfalls war es ein nettes Gedankenspiel«, seufzte Ebba und legte ihr aufmunternd die Hand auf die Schulter. »Heute kommt aber etwas mehr Leben in die Sache. Kannst du Kjell und Jan anrufen, um sie nach den Zeiten zu fragen? Wann genau Louise das Esszimmer verließ. Wann sich die Haustüre öffnete und schloss. Sie erinnern sich vielleicht an mehr, wenn man gezielt fragt. Und befrag sie noch einmal eingehend über die Gemütsverfassung der Leute. Wie Louise auftrat, als sie zurückkam, et cetera.«
Ebba setzte sich an ihren Schreibtisch und machte den Computer an. Sie wippte zerstreut auf ihrem Bürostuhl, während sie wartete, dass sich auf dem Monitor etwas tat.
»Ich bin noch eine Weile hier. Komm vorbei, wenn du mit den beiden gesprochen hast. Um halb zwei habe ich einen Termin mit Leonard und Ruth Liebeskind. Wir kamen vorgestern nicht dazu, uns zu unterhalten.«
»Und die Gattin?«
Ebba nickte düster. »Ja, ich weiß, aber ich muss mir noch die Fragen überlegen. Natürlich ist Joy morgen bei der Beerdigung anwesend. Du gehst auch. Zieh dir was Schwarzes und Diskretes an.«
Vendela verließ das Zimmer. Ebba streckte die Hand nach dem Telefon aus und wählte die Nummer Göran Larssons. Es klingelte einige Male, aber niemand nahm ab. Dann rief sie die Vermittlung an, Agneta.
»Agneta, weißt du, wo Göran Larsson steckt?«
»Mal sehen, was da steht … Dienstreise. Zurück am Freitag.«
Pünktlich zum Wochenende, pfiffig, dachte Ebba und erhob sich, um am Automaten im Entree eine Tasse Kaffee zu holen. Auf dem Weg dorthin kam sie an Karl-Axels Büro vorbei. Die Tür war angelehnt, und es brannte Licht. Sie ging auf die Tür zu und öffnete sie ganz. Ein Mann stützte sich mit beiden Händen auf dem Schreibtisch ab und starrte konzentriert auf den Bildschirm.
Ebba hatte den vagen Eindruck, ihn vor vielen Jahren schon einmal gesehen zu haben, konnte ihn aber nicht einordnen. Er war
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