Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
Gelegenheit zu antworten, denn Leonard ergriff schwer atmend die Hand seiner Frau und drückte sie fest. Ruth stutzte und sah sich verwirrt um. Ebba drehte sich ebenfalls um und sah zwei Personen auf die Kapelle zugehen. Die Frau war recht groß und trug einen eleganten, bis zu den Knien reichenden Nerzmantel und schwarze Lederstiefel mit hohen Absätzen. Ihr goldglänzendes, erstklassig frisiertes Haar wippte bei jedem Schritt, und diskrete, tropfenförmige Goldohrringe wurden dabei sichtbar. An der Hand hielt sie einen etwa achtjährigen Knaben. Er hatte dunkles, lockiges Haar, mandelförmige braune Augen und Sommersprossen.
Ruth röchelte leise. Die Beine gaben unter ihr nach, und Leonard gelang es gerade noch, sie zu halten. Pontus war rasch bei ihr, um sie wieder aufzurichten. Ruth wurde wieder munter und blinzelte erst verwirrt, dann kehrte ihre Fassung zurück.
Helena sah, was geschehen war, und festigte den Griff um die Hand ihres Sohnes. Der Junge sah erst seine Mutter verwundert an und dann Ruth. Helena beugte sich zu ihm herunter und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr. Der Junge lächelte zaghaft und nickte. Etwas unsicher gingen sie auf die Eltern von Raoul Liebeskind zu.
Ruth liefen die Tränen über die Wangen, und es gelang ihr kaum, die Fassung zu bewahren. Leonard konnte seinen Blick nicht von dem Jungen losreißen. Seine Augen glänzten, und es fiel ihm schwer, nicht ebenfalls in Tränen auszubrechen. Er ging in die Hocke, und es gelang ihm zu lächeln, um das Kind nicht zu erschrecken.
»Hallo, ich heiße Leonard, und wie heißt du?«
»David«, antwortete der Junge und sah seine Mutter verlegen an. Helena nickte ihm aufmunternd zu. In ihren Augen standen ebenfalls Tränen, aber sie versuchte zu lächeln.
»David ist ein schöner Name«, sagte Leonard. »Mein Vater hieß David Simon, und ich heiße Leonard David. Und weißt du was? Ich hatte auch einen Sohn, der David hieß. Raoul David Liebeskind.«
»W as für ein seltsamer Nachname«, meinte David und drückte sich enger an seine Mutter.
»W eißt du, was er bedeutet?«, fragte Leonard, und seine Stimme zitterte.
David schüttelte den Kopf.
»Das ist ein deutsches Wort und bedeutet Kind der Liebe.«
Nach diesen Worten übermannten ihn die Tränen, und er verbarg sein Gesicht in den Händen. David versteckte sich hinter seiner Mutter und versuchte, sie fortzuziehen.
»W er weiß noch davon?«, fragte Ebba.
»Sie sind mit die Ersten, die es erfahren«, antwortete Helena.
»W ie lange hegten Sie diesen Verdacht?«
»Svante hat es mir noch nicht bestätigt, aber ich habe mir schon immer meine Gedanken gemacht. Sehr sogar!« Helena wischte sich mit einer Hand rasch die Tränen weg. Die andere hielt David umklammert. »Es scheint ja kein Zweifel zu bestehen.«
»Und wer bist du?«, fragte Ruth und nahm ihren Arm. »Du bist doch die Bratschistin aus dem Furioso Quartett?«
Helena nickte. »Ich heiße Helena Andermyr. Mein Sohn heißt David Andermyr. Ich habe auch eine Tochter. Johanna. Mein Mann heißt Martin und ist blond und hat blaue Augen, genau wie Johanna.«
»Und der kleine David ist genauso hübsch wie Raoul, als er klein war«, sagte Ruth.
»Es ist nicht zu fassen. Ich stehe hier und sehe meinen Sohn an, obwohl er tot ist und im Sarg liegt«, murmelte Leonard und schluckte.
»Hat Raoul David kennengelernt?«, fragte Ruth. Es kümmerte sie nicht weiter, dass ihr die Tränen über die Wangen liefen.
»Sie sind sich einmal an einem Mittsommerabend auf Svalskär begegnet, als David anderthalb war. Aber Joy und Martin waren auch dort, und es ergab sich keine Gelegenheit, darüber zu sprechen.«
»Hat er nie erfahren, dass er einen Sohn hatte?«, wollte Leonard wissen.
»Doch«, antwortete Helena. »Ich habe ihm an dem Abend, an dem er starb, ein Foto von David gegeben. Ein zwei Jahre altes Schulfoto, das ich in meiner Brieftasche hatte. Er war sehr gerührt und froh. Obwohl ich mich gezwungen sah, ihn darauf hinzuweisen, dass ich nicht mit Sicherheit sagen könne, dass David wirklich sein Sohn sei, schien er vollkommen davon überzeugt zu sein. Er meinte, es sei, als würde er ein Foto von sich selbst als Kind anschauen. Er wusste ja auch, wie Martin aussieht, und da bestehen wirklich keinerlei Ähnlichkeiten. Wir unterhielten uns, umarmten uns und vergossen ein paar Tränen. Raoul sagte, dass er David unbedingt treffen müsse. Er wolle ihn als Sohn anerkennen und unbedingt am Sorgerecht teilhaben.«
»Und was hast du
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