Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
darauf geantwortet?«
»Dass das nicht so einfach sei«, begann Helena. »Raoul und ich … wir hatten nie eine offizielle Beziehung. Wir hatten fünfundzwanzig Jahre lang eine Liaison. Das klingt wahnsinnig, aber so war es. Aber wir hatten ja beide einen Partner und ich noch dazu eine funktionierende Familie. David liebt seinen Vater, denn für ihn war Martin ja immer sein Vater. Und Martin ahnt nicht, dass er möglicherweise nicht der Vater ist.«
»Aber wie haben Sie das nur all diese Jahre geheim halten können!«, rief Ruth verzweifelt.
»W ie konnte Raoul nur meine Gefühle ausnutzen?«, erwiderte Helena. Ein harter Klang schwang in ihrer Stimme mit. »Das war auch eine Seite eures Sohnes. Er spielte mit mir und hielt mich gleichzeitig in Schach. Ich liebte ihn, und ich werde ihn immer vermissen. Aber er war ein Herzensbrecher. Ständig neue Frauen, eine nach der anderen … Wie sollte ich mich da auf ihn verlassen können? Hätte ich die Geborgenheit meines Sohnes aufs Spiel setzen sollen? Ich besaß keine Garantien, dass Raoul etwas Dauerhaftes mit mir oder David aufbauen wollte. Im Gegenteil.«
Helena verstummte, um sich zu sammeln. Ruth und Leonard standen noch unter Schock.
»Ich bin selbst ohne Vater aufgewachsen. Das war nicht schön. Meine Mutter schämte sich so sehr, dass er uns verlassen hatte, dass sie nie über ihn sprach. Er war bei uns zu Hause eine Unperson«, sagte Helena. Dann fuhr sie mit etwas weicherer Stimme fort: »Derartiges wollte ich David ersparen. Er hat einen Vater verdient, der für ihn da ist, ihn zum Fußball fährt, ihn in den Arm nimmt und ihm Gutenachtgeschichten vorliest. Martin ist ein wunderbarer Vater.«
»Das ist der seltsamste Tag meines Lebens, so viel ist sicher«, sagte Leonard und fasste sich an die Stirn. »Und ich habe Theresienstadt erlebt.«
»Ach, du immer mit deinem Theresienstadt!«, fuhr Ruth auf. »Das hier ist ein Tag der Trauer und ein Tag der Freude. Wir verlieren einen Sohn und gewinnen einen Enkel. Das Leben geht weiter. Das Leben hat einen Sinn.«
Leonard schüttelte nur den Kopf. Dann ging er wieder in die Hocke und versuchte einen verschreckten Achtjährigen hinter den Rockzipfeln seiner Mutter hervorzulocken.
»Zu Anfang wusste ich nicht, was ich glauben sollte«, sagte Helena. »Zwar war David dunkelhaariger als Johanna, aber in meiner Familie gibt es alle möglichen Gene. Plötzlich gibt es eine andere Haarfarbe als die, mit der man gerechnet hat. Meine Halbschwester ist dunkelhaarig, und ihr Vater ist blond. Bald halten wir das Testergebnis, aus dem hervorgeht, ob David Raouls Sohn ist, in den Händen. Dann wissen wir es definitiv.«
»Und was geschieht dann?«
»Ich habe mir viele Gedanken gemacht. Schon seit Jahren, seit mir diese offensichtliche Ähnlichkeit mit Raoul erstmals aufgefallen ist. Sowohl die Gesichtszüge als auch anderes … er kneift zum Beispiel beim Nachdenken die Augen so zusammen wie Raoul.« Sie lächelte, und Ruth kamen erneut die Tränen. Etwas verlegen fügte Helena hinzu: »W ir müssen uns in aller Ruhe darüber unterhalten, was weiter geschehen soll. Wenn ihr wollt. Ich habe das Gefühl, dass es kein Zurück mehr gibt. Mein Mann weiß noch nichts, auch in Bezug auf ihn muss ich einen Beschluss fassen. Und David … «
Sie sprach leiser und beugte sich vor, damit ihr Sohn nichts hören würde. »David glaubt, dass er bei der Beerdigung eines Freundes seiner Mutter ist. Er war noch nie auf einer Beerdigung und findet es ziemlich unheimlich. Aber ich war es ihm schuldig, ihn heute mitzunehmen, damit er sich später daran erinnern kann. Mehr konnte ich ihm noch nicht erklären. Er kann nicht einen neuen Vater bekommen, während wir Raoul begraben. Wir müssen behutsam vorgehen.«
Ruth nickte. Sie beugte sich zu David hinunter. Schüchtern schaute er hinter dem Nerz hervor, und Ruth lächelte ihn an. Sie fasste ihn am Kinn und schüttelte ihn liebevoll. »W as für ein schöner Knabe du bist, ich liebe dich bereits«, flüsterte sie zärtlich und erhob sich dann. »Es ist langsam Zeit, reinzugehen.«
Helena wollte sich gerade umdrehen, als Ruth sie am Arm festhielt. »Du sitzt bei uns.«
»Und Joy?«
»Joy sitzt auf der anderen Seite des Mittelganges«, sagte Leonard und konnte sich ein leises Lächeln nicht verkneifen.
Ebba und Pontus, gefolgt von Vendela, schlossen sich ihnen an. Sie hörte, wie Ruth Helena fragte: »Aber warum ausgerechnet jetzt? Warum hast du es ihm an dem Tag erzählt, an dem er
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