Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
sie vor dem Spiegel an und war hochzufrieden. Diese Schuhe, das war sie. Warum hatte sie sie nie getragen? Sie wählte schwarze, undurchsichtige Nylonstrümpfe, die den Beinen eine elegante Sanduhrform verliehen. Mit dem engen, bis zum Knie reichenden Rock, einer taillierten, freizügig aufgeknöpften Baumwollbluse und ihrem Ulster begutachtete sie sich noch einmal im Spiegel. Dann fiel ihr Blick auf die Schmuckschatulle, und sie hatte die plötzliche Eingebung, eine Kette mit einem Anhänger herauszunehmen, die sie nicht mehr getragen hatte, seit sie ein Kind gewesen war. An einer Goldkette hing das hebräische Schriftzeichen für Leben, »Chaim«. Sie legte sich die Kette um den Hals und lächelte ihr Spiegelbild an.
In der Diele stand eine Tasche mit Aktenordnern. Sie hatte am Morgen einige Stunden damit verbracht, die Unterlagen der Spurensicherung durchzugehen. Sie enthielten sehr viele Informationen, aber nichts, was relevant zu sein schien und sie weitergebracht hätte. Sie nahm die Tasche, ging zu ihrem Mercedes und ließ den Motor an.
Als sie beim Dezernat eintraf, sah sie Vendela und Pontus in angeregter Unterhaltung vor dem Haupteingang stehen. Gute alte Zeiten. Beide rothaarig, beide entspannt. Sie fuhr an den Bordstein, ließ das Seitenfenster herunter und rief: »Steigt ein!«
Vendela setzte sich unaufgefordert auf den Rücksitz, und Pontus nahm vorne Platz. Ebba merkte, dass er sie musterte und ihre Schuhe mit einem etwas längeren Blick bedachte. Er war frisch rasiert und trug einen legeren, allerdings einwandfreien schwarzen Anzug und ein hellgraues Hemd, darüber einen Mantel mit Fischgrätenmuster.
»W ir können davon ausgehen, dass das gesamte Quartett erscheint«, begann Ebba und sah Vendela im Rückspiegel an. »Es gibt viele interessante Konstellationen zu beachten. Das Quartett versus Joy. Dann das Quartett an sich. Spannungen, alter Groll, Sympathien? Vermutlich ist es das erste Mal seit dem Mord, dass sie alle wieder zusammen sind.«
»Sollen wir uns verteilen?«, fragte Vendela.
»Ja. Aber seid diskret. Es ist eine Beerdigung. Wir wollen nicht auffallen.«
Pontus konnte es nicht lassen, ein weiteres Mal ihre Schuhe zu begutachten und sie dann amüsiert-vorwurfsvoll anzuschauen. Ebba blickte geradeaus und beachtete ihn nicht weiter.
Obwohl sie zeitig dran waren, hatten sich bereits recht viele Leute vor der Kapelle versammelt. Ebba sah etliche prominente Musiker und Dirigenten, wobei ihr auffiel, dass sie sie schon des Öfteren in schwarzer Kleidung gesehen hatte, allerdings war das die mehr oder weniger obligatorische Bühnenkleidung gewesen. Hier gab es kein Rampenlicht, und Publikum wäre ihnen sicher gerne erspart geblieben. Einige Leute diskutierten hitzig mit ein paar Fotografen, die sich jedoch auf Abstand hielten.
Ebba erblickte Louise, die sich mit einigen Kollegen unterhielt. Unentwegt trafen neue Trauergäste ein, gingen auf sie zu und begrüßten sie. Die Gruppe bewegte sich langsam zur Kapelle. Raouls Eltern kamen Arm in Arm einen Weg entlang. Ruth bewegte sich langsam, Leonard strich ihr tröstend und beruhigend über die Hand. Als sie den Eingang der Kapelle erreichten, wandten sich ihnen alle zu und begrüßten und umarmten sie. Ebba, Pontus und Vendela stellten sich ebenfalls an. Die Kameras der Pressefotografen blitzten. Ob es Raouls Eltern mit Stolz erfüllte, dass ihr Sohn so berühmt und das Interesse so groß war, oder ob ihnen eine private Zeremonie lieber gewesen wäre, war nicht zu erkennen.
»Jetzt begraben wir unseren einzigen Sohn, und dann muss das Leben weitergehen«, sagte Ruth verbissen, als sie Ebba die Hand reichte. Im selben Augenblick bog Caroline um die Ecke der Kapelle. Sie trug ihr Cello auf dem Rücken. Alles an ihr war schwarz: Schuhe, Strümpfe, Mantel und Haar, aber in dem bleichen Gesicht leuchtete ein kirschroter Mund. Leonard erklärte, dass sie Ingvar Lidholms »Fantasia sopra Laudi« in der Kapelle spielen würde.
»Die Chewra konnte ihr nicht widerstehen. Sonst gibt es keine Musik. Joy hat es so beschlossen, also müssen wir es akzeptieren.«
»Joy weiß also nicht, dass Caroline af Melchior spielen wird?«, erwiderte Ebba.
»W ir haben es ihr noch nicht sagen können. Ist das ein Problem?«
Ebba überlegte, ob sie ihnen die Lage erläutern sollte, sagte dann aber: »Es wäre vielleicht eine gute Idee, ein paar Worte mit Caroline zu wechseln, bevor die Zeremonie beginnt. Oder mit Joy. Was Ihnen lieber ist.«
Ruth hatte keine
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