Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso
betrachtete es einen Augenblick. Langsam strich sie mit dem Cursor über seine Lippen. Plötzlich registrierte sie ihre beunruhigend schweren Atemzüge. Sie ließ den Cursor in die Mitte seiner Stirn gleiten, sagte leise »Poff«, verzog schnippisch den Mund und ließ dann eilig das Foto und die Datei verschwinden.
Draußen war es dunkel geworden, und ihr fiel auf, dass sie in einem schummerigen Zimmer saß. Wie lange wohl schon? Ein rascher Blick auf die Armbanduhr. Es war Viertel vor fünf. Ein Lämpchen am Computer blinkte, aber der Monitor war schwarz. Mit einem Mausklick ließ sie ihn wieder aufleuchten, rief die Homepage der Polizei auf und klickte auf die Stellenangebote weiter. In Norrbotten wurde ein Polizeichef gesucht, und sie dachte einen Augenblick darüber nach, wie viele Häuser sie wohl in Luleå für ihre Villa in Djursholm bekommen würde. Vielleicht würde es ja für ein ganzes Dorf reichen? Oder eine Kleinstadt? Vielleicht konnte sie auch ganz Luleå kaufen und dort alleinherrschende Bürgermeisterin werden … vielleicht sollte sie ja auch die halbe Villa gegen einen Bauernhof im Languedoc eintauschen, in dem sie ihre Ferien verbringen konnte? Sie konnte im Sommer Überstunden machen, wenn es hell war und zumindest über null, und dann im Winterhalbjahr freinehmen und ihre Zeit im Languedoc verbringen.
Sie wurde aus ihren Träumereien gerissen, als es an der Tür klopfte. Ebba aktivierte den Bildschirmschoner und begann in einer zwei Jahre alten Broschüre des Komitees für die Verbrechensvorbeugung zu blättern.
»Herein«, rief sie. Ihre Stimme klang halbwegs entspannt.
»W ie dunkel es bei dir ist!«, sagte Vendela verblüfft und schaltete das Deckenlicht ein. Ebba schaute auf die Tür.
»Hast du die Herren erreicht?«
»Ja. Sie bestätigen im Großen und Ganzen Louises Aussage. Sie erinnern sich nicht genau, wann sie das Esszimmer verließ, aber Kjell half ihr dabei, das Teetablett hereinzutragen.«
»Haben sie sich zu ihrer Gemütsverfassung geäußert? War sie ruhig oder erregt?«
»Sie scheint jedenfalls nicht hysterisch gewesen zu sein, denn ihnen fiel nichts Besonderes an ihr auf.«
»Nein, warum auch? Sie rechneten schließlich nicht damit, eine Aussage machen zu müssen. Louise ist eine routinierte Solistin aus Edelstahl. Sie kann ihre Gefühle verbergen, wenn es darauf ankommt.«
»Mit einem kleinen Detail kann ich dich aber doch erfreuen.«
Ebba strahlte.
»W ährend ihrer Arbeit im Esszimmer beschäftigte sich Louise die ganze Zeit mit der Partitur. Dort waren alle Bogenstriche und Kommentare eingetragen. Die Stimme der ersten Geige wurde nie benötigt.«
»Damit haben wir sie … «, murmelte Ebba halblaut.
»W ie bitte?«
»Nichts … «
Vendela lehnte müde ihre Stirn an den Türrahmen. »Kann ich jetzt nach Hause gehen?«
»T u das, ich muss noch ein paar Sachen erledigen, dann gehe ich auch. Denk dran: Morgen schwarz, wir fahren kurz nach zwölf hier los.«
New York, dachte Ebba. Dort ist jetzt Mittag. Sie streckte ihre Hand nach dem Telefon aus, als ihr Handy klingelte. Es war Jakob.
»Und? Wie ging’s?«
»Sie saßen eine halbe Stunde im Sturekatten und unterhielten sich.«
»Und wie war die Stimmung?«
»Anfänglich recht ernst. Caroline erlitt in regelmäßigen Abständen einen Zusammenbruch, und Louise versuchte sie zu trösten.«
»Okay. Sonst noch etwas?«
»Es endete damit, dass Caroline in Tränen aufgelöst das Café verließ. Louise blieb noch einen Moment sitzen und ging dann ebenfalls.«
Zwei Minuten, nachdem sie das Telefonat beendet hatte, griff sie wieder zu dem Zettel, den Leonard ihr gegeben hatte, und wählte die Nummer des Rechtsanwalts Miles Rosenberg, bei dem Raoul Liebeskind sein Testament hinterlegt hatte.
Donnerstag, 22. Oktober
A m liebsten hätte sie ihre schwarze Lederhose angezogen und einen Wollpullover, aber jetzt passten ein dunkler Rock und Pumps besser, wenn sie nicht auffallen wollte. Wie hohe Absätze konnte sie sich erlauben? Ganz hinten im Schrank fand sie ein paar ordentliche Schuhe mit drei Zentimeter hohen Absätzen, die sie auf Gregors Beerdigung getragen hatte. Etwas Besseres war er nicht wert, dachte sie und pfefferte die Schuhe wieder in den Schrank. Sie knallten auf den roten Karton der schwarzen Lackschuhe mit Pfennigabsätzen, die sie beim letzten Winterschlussverkauf erworben, aber noch nie getragen hatte. Obwohl die Absätze nicht so hoch waren, bekam der Spann eine elegante Wölbung. Ebba probierte
Weitere Kostenlose Bücher