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Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso

Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso

Titel: Der Klang des Todes - Bartosch Edström, C: Klang des Todes - Furioso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carin Bartosch Edström
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legte ihr die Hand auf den Arm.
    »Alles in Ordnung?«, fragte er harmlos.
    Helena zuckte zurück. »Fass mich nicht an!«, fauchte sie, ohne ihn anzusehen.
    In der eisigen Stimmung, die sich im Studio ausgebreitet hatte, stellte die Anwesenheit Kjells und Jans eine fast surrealistische Alltäglichkeit dar. Ihre trägen Bewegungen und praktischen Maßnahmen waren das Einzige, was die Lage wieder auf eine halbwegs zwischenmenschliche Anständigkeit normalisierte. Sie machten sich am Mischpult zu schaffen, stöpselten Kabel ein, prüften Mikrofone und veränderten die Höhe der Mikrofonstative, die fast so etwas wie einen Schutzzaun zwischen den fünf Musikern bildeten.
    »W ir machen zuerst eine Klangprobe«, erklärte Jan.
    Schweigend setzten sich alle an ihre Pulte. Anna strahlte und legte den Kopf auf die Seite, als Jan auf sie zutrat, um ihr Mikro ein Stück hochzuziehen. Er war ein großer, etwas knochiger Mann Ende fünfzig. Sein blondes Haar hatte die Farbe verloren und war ergraut.
    Helena starrte auf ihre Noten. Ihre schweißnasse Hand fand keinen richtigen Halt am Hals ihrer Bratsche. Als sie den Bogen hob, zitterte sie, sodass ihr die ersten Töne ausrutschten und der Bogen über die Saiten hüpfte.
    »Oha.« Raoul lächelte sie nachsichtig an. Helenas Blick irrte umher. Sie umfasste den Bogen mit festem Griff, was einen Quietschton zur Folge hatte. Sie legte ihr Instrument auf die Knie und trocknete ihre Hände an ihrer Jeans ab.
    »Nervös?«, fragte Anna.
    Helena antwortete nicht.
    »Ach was! Wird schon alles klappen«, sagte Anna und blinzelte vertraulich.
    Wird schon alles schiefgehen, dachte Helena.
    »W ir spielen die Einleitungen der Sätze, um wieder ein Gefühl für das Stück zu entwickeln«, erklärte Raoul und sah Louise an. Diese nickte mit ausdrucksloser Miene.
    Der Durchgang verlief unerwartet gut. Als hätten sich alle angestrengt, die Aufgabe gemeinsam zu bewältigen, derentwegen sie auf die Insel gekommen waren. Für einen zweiten Versuch würde niemand mehr die Kraft haben. Kjell justierte die Mikros ein weiteres Mal, dann konnte die Aufnahme beginnen.
    Helena nahm nichts mehr um sich herum wahr. Sie spielte wie in Trance und hätte nachher nicht sagen können, wie es ihr gelungen war, sich durch das Werk hindurchzuackern. Ihre Finger hatten mechanisch ihre Arbeit ausgeführt, in Gedanken war sie woanders gewesen. Die ganze Zeit über vermied sie es, Raoul und Caroline anzusehen. Sie nahm aus der Distanz seine musikalische Führung wahr, spürte aber, dass ihre Selbstbeherrschung versagen würde, falls sie ihn auch nur ein einziges Mal ansah.
    In der Mittagspause flüchtete sich Helena in ihr Zimmer. Sie warf sich aufs Bett und starrte an die Decke. Noch nie hatte sie sich so alt gefühlt wie jetzt. Die Scham darüber, dass sie sich die Erfüllung eines Wunsches eingebildet und darüber jedes Urteilsvermögen eingebüßt hatte, lähmte sie. Sie lag reglos da und atmete ganz flach, während ihr Gehirn fieberhaft arbeitete. Sie versuchte die neue Wahrheit zu begreifen. Caroline und Raoul. Er hatte sie wegen Caroline abblitzen lassen. Ausgerechnet Caroline! Wie hatte alles nur so katastrophal schiefgehen können? Oder hatte es nicht überhaupt so enden müssen? Raoul nützte Menschen aus. Er besaß keinerlei Gefühle. Er hatte sie angelogen. Natürlich hatte er das. Er hatte gelogen, um sie loszuwerden. So war er, und so war er immer gewesen. In ihrer grenzenlosen Sehnsucht war sie darauf hereingefallen. In ihrer Naivität hatte sie geglaubt, dass er es ernst meinte, als er sie umarmt und ihr alle schönen Worte ins Ohr geflüstert hatte. Weil sie geglaubt hatte, er habe sich verändert, und weil er so ehrlich geklungen hatte. Wie hatte sie nur, obwohl sie es doch besser wusste, so wahnsinnig bescheuert und passiv sein können, ihm zu vertrauen? Wie nahe daran sie doch gewesen war, sich zu verraten! Bei diesem Gedanken brach ihr der kalte Schweiß aus.
    Es klopfte.
    »Helena?« Louise klang kurz angebunden. »Helena? Wie geht es dir?«
    Helena fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen und antwortete so unberührt wie nur möglich: »Fangen wir schon wieder an?«
    »In der Küche ist noch etwas vom Essen übrig. Nimm dir was und komm dann runter ins Studio. In einer Viertelstunde geht es weiter.«
    »Okay.«
    Helena blieb noch einen Augenblick lang liegen und stand dann mit Mühe auf. Sie stellte sich vor den Spiegel, bürstete ihr Haar, erst langsam, dann immer fester und intensiver,

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