Der Klang des Verderbens
erkennen?«
»Abgesehen von Fingern, einem Schwanz und Eiern?«
»Im anderen Video waren sie zu einem kleinen Haufen gestapelt. Jetzt liegen sie nebeneinander.«
Nicht nur das, sondern sie waren offenbar absichtlich zu einer Form angeordnet. Der Penis war der Länge nach durchgeschnitten worden, wie ein Bananensplit, und mit den Enden zu einem unförmigen Kreis aneinandergelegt. Innerhalb des Kreises lagen drei Finger. Der längste befand sich genau in der Mitte, als würde ein übergroßer Minutenzeiger auf einem Ziffernblatt gleichzeitig auf zwölf und sechs Uhr zeigen. Die beiden anderen, kürzeren, setzten ungefähr beim zweiten Knöchel, ein kleines bisschen unterhalb der Kreismitte, an – sie zeigten nach unten, auf die Fünf und die Sieben.
»Soll das eine Uhrzeit darstellen?«, fragte Jeremy.
»Keine Ahnung«, erwiderte Ronnie. Sie klang tief in Gedanken versunken, als wäre sie ebenso hoch konzentriert wie er. Als durchforstete auch sie verzweifelt ihr Gehirn nach einem passenden Bild.
Die Figur kam ihm quälend vertraut vor, aber er konnte sie nicht gleich einordnen, und je angestrengter er es versuchte, desto mehr entzog sie sich ihm. Er versuchte, seinen Geist zu leeren, und verdrängte jeden Gedanken daran, wie dieses Arrangement entstanden war.
Ein Kreis. Zwölf Uhr. Fünf und sieben.
»Es sieht aus wie ein Peace-Zeichen«, sagte Ronnie schließlich und klang dabei selbst etwas überrascht. »Eins von diesen altmodischen Symbolen aus den Sechzigern. Du weißt schon, stell es dir in Orange vor psychedelischem Hintergrundmuster vor, dann könnte es ein Aufkleber auf einem VW -Bus voller Hippies gewesen sein. Wenn es nicht aus einem Penis und drei Fingern bestehen würde, versteht sich.«
Er ließ dieses Bild vor seinem inneren Auge entstehen, setzte das grobe Symbol des Mörders ein und stellte fest, dass sie recht hatte. Es sah tatsächlich aus wie ein Peace-Zeichen. Das grauenhafteste Peace-Zeichen der Welt.
Dr. Cavanaugh schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Vielleicht wollte er einfach nur wieder den Neunmalklugen spielen, wie in der Nachricht. Es ist kein Hinweis, sondern purer Spott.«
»Vielleicht«, gab Jeremy zurück und fragte sich, hin- und hergerissen, warum er ihr nicht einfach zustimmte. »Vielleicht steckt aber auch eine Botschaft dahinter, die wir bloß nicht verstehen.«
Es erschien ihm nicht besonders sinnvoll, dass der Täter sich all diese Mühe grundlos machte. Er hatte die Körperteile anhäufen müssen, sie anschauen, dann wieder auseinandernehmen, die Form legen, dann wieder den Haufen hinlegen … und diese ganzen verschiedenen Bilder musste er hinterher bei seiner Filmproduktion wieder übergangslos aneinanderfügen. Das war ziemlich viel Aufwand für einen bloßen Scherz. Nachdem er sie in seinen Nachrichten herausgefordert hatte, herauszufinden, was er tat, warum er das tat und – was das Wichtigste war – wer sein nächstes Opfer sein würde, mussten sie davon ausgehen, dass jeder Hinweis etwas zu bedeuten hatte.
Apropos … nun stieg die Textbotschaft vor ihm auf. Genau wie vorhin war der Schreibrhythmus gleichmäßig. Kein Zögern, während die Buchstaben von Veronicas langem, etwas unüblichem Namen getippt wurden. Bei dem simplen T-E-D hingegen schon.
»Jetzt verstehe ich, was du meinst«, sagte Veronica von draußen.
Die Namen hatten also auch etwas zu bedeuten. Er durchforstete sein Gehirn, suchte nach einer Verbindung zwischen den Namen David und Ted, aber ihm fiel nichts ein. Das waren so einfache, weitverbreitete Namen, wenn auch etwas altmodisch.
»Wir sollten sie zusammen in eine Suchmaschine eingeben und gucken, was dabei rauskommt«, schlug Ronnie vor, die seine Gedanken zu lesen schien.
»Schreib dir das auf.«
»Hab ich schon.«
Das Video war zu Ende, die Welt um ihn erstarrte beim letzten Einzelbild. Die höhnische Botschaft hing vor ihm in der Schwebe, die Buchstaben so körperlos wie Licht und Luft. Aber sie fühlten sich massiv an, eine wahrhaftige Gefahr ging von ihnen aus, und Jeremy wusste, dass die Ankündigung des Mörders, noch einmal zuzuschlagen, keine leere Drohung darstellte.
Hinter etwas so Finsterem, so Brutalem musste eine Menge Wut stecken. Natürlich konnte er es nicht mit Gewissheit sagen, aber Jeremy hatte den Eindruck, dass in der Mischung aus spaßig maskiertem, winkendem Mann und dem Ungeheuer, das ein solches Blutbad anrichtete, ein Hauch von Wahnsinn lag.
Dieser David oder Ted, oder wie auch immer er hieß,
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