Der Klang des Verderbens
deren Gebeine niemals gefunden worden waren – und auch nicht gefunden werden konnten.
Dann hatte sie Jeremy kennengelernt. Und schlagartig hatte sich alles geändert.
»Du liebst mich also, ja?«, flüsterte sie und gestattete sich zum ersten Mal, seit er diese Worte ausgesprochen hatte, darüber nachzudenken.
Er liebte sie. Er hatte die Stärke, ihr das einzugestehen.
Und sie hatte das Thema gewechselt.
»Was bist du nur für eine Memme, Sloan«, brummte sie, schlüpfte aus dem Bett und tapste ins Bad. »Eines Tages wirst du die Wahrheit zugeben müssen.«
»Dass du nämlich dasselbe für mich empfindest?«, fragte eine tiefe Stimme und ließ sie zusammenfahren.
Mit der Hand auf der Türklinke erstarrte sie. Nackt warf sie einen Blick über die Schulter und sah Sykes, der mit offenen Augen im Bett lag und sie betrachtete. Er ließ einen lüsternen Blick über ihren Körper wandern, vom Gesicht bis zu ihrem blanken Hintern und wieder empor. Schließlich grinste er. »Guten Morgen.«
Sie räusperte sich, befeuchtete ihre Lippen, straffte die Schultern. »Du kannst mich mal«, brummte sie und verschwand im Bad.
Während einer ausgiebigen Dusche hoffte sie, dass er den Wink verstand und zur Abwechslung mal in sein eigenes Zimmer ging, sodass sie ihm nach diesem peinlichen Moment nicht unter die Augen treten musste. Als sie sich abgetrocknet hatte und ins Schlafzimmer spähte, seufzte sie erleichtert – er war weg. Nachher würden sie sich wieder auf die Arbeit stürzen. Sie planten, noch einmal zur Wache zu fahren und weiter in der Fallakte zu wühlen, bevor sie zurück nach Washington flogen. Bis sie ihn gleich wiedertraf, sollte es ihr gelungen sein, ihre gleichgültige Maske wieder aufzusetzen.
Sykes war ziemlich gut darin, ihr diese Maske herabzureißen. Sie hoffte bloß, dass er so nett war, das heute nicht zu versuchen.
Sie zog sich fertig an – zum Glück konnte sie heute wieder ihre Uniform tragen! Nie wieder würde sie sich in eine gefährliche Situation begeben, ohne ungehinderten Zugriff auf ihre Waffe zu haben! – und machte sich einen Kaffee. Sie nahm ein paar Schluck, schaltete ihr Tablet ein und rief ihre Nachrichten ab. Sie überflog die üblichen Verdächtigen – Spam, eine Nachricht von ihrer Mutter und eine von Max, die mit Sicherheit irgendeinen anzüglichen Witz beinhaltete. Dann entdeckte sie die neueste E-Mail, deren Absender aus einer langen Zahlenfolge bestand. Sie hatte einen Anhang.
Ihr Herz setzte für ein paar Schläge aus.
»Oh Gott«, flüsterte sie. Sie musste die Nachricht gar nicht öffnen, um zu wissen, von wem sie kam.
Sie schnappte sich ihr Tablet, lief zur Tür und riss sie auf – und stand vor Sykes, der gerade anklopfen wollte. Er hielt sein Bildtelefon in der Hand und zeigte ihr rasch das Display mit einer Unheil verkündenden E-Mail. »Hast du auch eine bekommen?«
»Ja.«
»Hast du es dir schon angeschaut?«
»Noch nicht.«
Sie winkte ihn herein, dann eilten sie zum Schreibtisch und stellten das Tablet auf den hoteleigenen Ständer dafür. Ronnie setzte sich auf den Stuhl, Sykes ließ sich auf der Bettkante nieder. Sie holte noch einmal tief Luft, klickte auf die E-Mail und las:
Hallo, Detective.
Sie wissen bestimmt, wer ich bin … aber nur zur Sicherheit formuliere ich es noch einmal neu: Sie haben bestimmt vor AUGEN, wer ich bin.
Wollen Sie noch mal ein AUGE riskieren?
Und ein AUGE auf mein neuestes Projekt werfen?
Es ist ein echter Hingucker.
Obwohl die Drahtlosverbindung des Hotels gar nicht so schlecht war, dauerte es ungefähr eine Minute, den gesamten Anhang herunterzuladen. Nach der Größe der Datei zu urteilen, war dieses Video sogar länger als das erste.
Während sie warteten, öffnete Sykes seine Nachricht auf seinem Handy und las sie vor.
»Special Agent Sykes – es ist Zeit für eine weitere Nahaufnahme. Ihnen werden bestimmt die AUGEN übergehen!«
»Und das Wort ›Augen‹ hat er …«
»In Großbuchstaben geschrieben.«
»War ja klar.«
Der Download war fertig, und ein Wiedergabefenster öffnete sich. Ihr klopfte das Herz bis zum Hals, als sie auf Abspielen drückte. Zum Glück hatte sie nichts gefrühstückt. Wie sie ihren Täter kannte, hätte sie bei den nun folgenden Anblicken das Essen nicht lange bei sich behalten.
Es begann draußen. Eine mondhelle Nacht. Wolkenlos. Der Himmel war dunkelblau, dieses herrliche Samtblau, das nur ein stürmischer Nachthimmel hervorrufen konnte.
Dann ein Haus. Eigentlich eine
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