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Der Klavierstimmer

Der Klavierstimmer

Titel: Der Klavierstimmer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pascal Mercier
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sprechen. Es sei ein offenes Geheimnis, daß di Malfitano gerne spiele, er sei in verschiedenen Casinos bekannt. Sein Telefon in Monte Carlo sei abgeschaltet, was auf eine Flucht aus Monaco hindeute. Aus dem Fürstenhaus sei kein Kommentar zu erhalten. »
    Mamans Lippen verzogen sich zu einem Lächeln, das ihre Bitterkeit besser zum Ausdruck brachte, als eine verkniffene Miene es vermocht hätte.
    «Mehr brachte Le Monde nicht, es war dort ohnehin eine eher kleine Meldung. Paris Match machte natürlich mehr daraus. Quer über die Seite lief ein Band aus sechs Fotos, die so eingefaßt waren, daß sie wie fortlaufende Aufnahmen auf einer Filmrolle aussahen. Zwei Bilder von Antonio vor dem Casino von Monte Carlo, zwei weitere mit den Grimaldi-Töchtern - stets auf Tuchfühlung -, und schließlich noch zwei Schnappschüsse von der Karnevalshochzeit, auf denen die Signora trotz der vielen Schminke wie ausgekotzt aussah. Unter den Bildern eine Wortfolge, die wie ein Telegramm aufgemacht war: gloire - noblesse - richesse - fraude . Die Geschichte strotzte vor Andeutungen und wilden Spekulationen, vor allem über Antonios angeblich besondere Beziehung zu den Grimaldi-Töchtern. Daß das Fürstenhaus zu der unerwarteten Entwicklung schwieg, wurde danach als süffisante Pointe präsentiert.
    Beim ersten und auch zweiten Lesen nahm ich an, der Artikel ende hier. Die Seite war zu Ende, und der letzte Satz klang nach schwungvollem Abschluß. Wie betäubt blieb ich sitzen. Das warf ein ganz neues Licht auf die Heirat mit der reichen Adligen. Ihre Millionen hatten helfen sollen, die Veruntreuung zu vertuschen. Im geheimen natürlich, die venezianische Familie würde keinen Betrüger bei sich aufnehmen wollen. Oder galt das als Kavaliersdelikt? Worüber man auf keinen Fall hinweggesehen hätte, wären uneheliche Kinder gewesen. Bigotterie war stärker als Gesetzestreue. Ich sah Antonio vor mir, wie er sich mit den Händen über das aschfahle Gesicht fuhr, als könne er dadurch den Spuk meiner Drohung wegwischen. Machte ich sie wahr, ginge ihm nicht nur Reichtum verloren. Er mußte damit rechnen, daß der Betrug ans Licht käme und er vor Gericht gestellt würde. Deshalb, nur deshalb, hatte er sich nach meinem Stock gebückt.
    Irgend etwas war dann trotzdem schiefgegangen. Und wir waren die Betrogenen. Gut, er hatte uns nicht absichtlich betrogen. Er war ja davon ausgegangen, daß die von ihm geplünderte Kasse der Stiftung bald wieder aufgefüllt sein würde, so daß die Aufführung der prämierten Oper wie jedes Jahr stattfinden konnte. Trotzdem: Es war seine Tat, seine Unterschlagung, die uns um den Preis und die Aufführung brachte. Die billigen Abschiedsworte damals, der Unfall, und jetzt das. Es war genug, mehr als genug.
    Und doch war es noch nicht alles. Als ich aufstand, um das Telefon abzunehmen, rutschte mir die Zeitschrift vom Schoß, und als ich zurückkam, war die nächste Seite aufgeschlagen. Gerade wollte ich zurückblättern, da fiel mein Blick auf ein kurzes, durch einen Balken abgeschlossenes Textstück - das wirkliche Ende des Artikels von der vorherigen Seite. Simon Carpentier, der Preisträger des diesjährigen Opernwettbewerbs, hieß es da, sei enttäuscht und wütend über diese Wendung der Dinge. ‹Ich kann es einfach nicht glauben›, habe der erst Siebenundzwanzigjährige, ein großes Talent mit Zukunft, gesagt.
    Ich begriff nicht. Minutenlang begriff ich einfach nicht. Ich las die Zeilen noch einmal und noch einmal. Ich ging in Frédérics Zimmer und entfaltete den ersten Brief aus Monaco, der seit jenem Tag griffbereit auf dem Schreibtisch lag, auch jetzt noch, wo er überholt und entwertet war. Langsam löste sich, was eine Sperre der Ungläubigkeit gewesen war. Es stimmte nicht, daß Antonio uns nicht absichtlich betrogen hatte. Im Gegenteil, er hatte mich auf die dreisteste, kaltschnäuzigste Art und Weise aufs Kreuz gelegt: Die Jury hatte für Carpentiers Oper gestimmt; Antonio hatte Anweisung gegeben, Frédéric einen Brief mit einer glatten Lüge zu schreiben; die Lüge würde halten, bis die Heirat perfekt war. So einfach war das. Und es erklärte, warum die Frau, mit der Frédéric telefoniert hatte, nichts von Nerea Etxebeste wußte. Sie mußte Antonios Privatsekretärin sein. Und sicher nicht nur das.
    Es dauerte, bis ich in Panik geriet. Das gibt es: Du weißt, daß du in Panik geraten wirst, sobald du eine bestimmte Überlegung angestellt hast, du weißt, daß dir alles zur Verfügung steht,

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