Der kleine Bruder: Der kleine Bruder
nicht wie du«, sagte Kar! zu Martin. »Vielleicht ist Freddie ja uns allen mal wieder ein Stück voraus.«
»Ja, das kann immer sein. Aber was bringt das schon, wenn man den anderen immer ein Stück voraus ist? Ich meine, wenn einer zu früh ist, dann ist das doch irgendwie auch unpünktlich.«
»Können wir jetzt mal auf die Party gehen?« sagte Kar!.
»Ich komm auch mit«, sagte Jürgen.
»Willst du mein Zimmer haben?« sagte Martin zu Jürgen.
»Ja klar.«
»Dann bleib mal lieber hier, bevor Immel nach Hause kommt und das im Furor einem von den anderen gibt. Kannst du Baß spielen?«
»Nein.«
»Umso besser«, sagte Martin und klopfte ihm auf die Schulter. »Dann kannst du auch noch als Bassist bei Dr. Votz anfangen. Die brauchen jetzt einen.«
Er schaute seufzend seinen Schrank mit den Anzügen an.
»Du mußt mir nur eins versprechen: Sag Immel, das wären deine Anzüge. Sonst ist der imstande und schneidet die kaputt oder sowas. Ich hol die dann demnächst mal ab. Oder ich schicke einen vorbei oder so.«
Dann gingen sie und ließen Jürgen zurück. Frank sah im Hinausgehen noch, wie er das Bettzeug beiseite schob und sich auf das Sofa setzte, wie um ein Gefühl dafür zu bekommen.
»Kann ich erstmal bei euch wohnen?« sagte Martin, als sie die Treppe hinunterliefen.
»Wir wohnen ab morgen oder so woanders«, sagte Karl.
»Wo denn?«
»Über dem Einfall. Erwin hat uns umgesetzt.«
»Wieso das denn?«
»Helga ist schwanger. Die zieht jetzt mit ihm zusammen.«
»Ach so. Ist da noch was frei über dem Einfall?«
»Ich weiß nicht, Chrissie, H.R., ich, Freddie und Frank hier, ich weiß gar nicht, wie viele Zimmer die hat.«
»Viereinhalb« , sagte Frank, der sich daran noch erinnern konnte.
»Muß man mal gucken, was Erwin unter einem halben Zimmer versteht«, sagte Karl.
»Nehm ich«, sagte Martin.
Sie traten auf die Straße. Es war noch kälter geworden, und die Luft roch noch mehr nach Rauch, und der Rauch roch nach Schwefel. Unter den Gaslaternen standen dunstige, gelbliche Kegel aus Licht.
»Pfuelstraße, wo ist die noch ma1?« sagte Karl.
»Unten an der Spree, beim Schlesischen Tor«, sagte Martin. »Laß uns mal losgehen, bevor ich zu frieren anfange.«
Sie liefen im Eilschritt die Naunynstraße und dann die Oranienstraße hinunter bis zur Hochbahn, und dann liefen sie die Hochbahn entlang, es war ein weiter Weg, auf den Straßen war nicht mehr viel los, und je weiter sie kamen, desto einsamer wurde es, und sie schwiegen und konzentrierten sich aufs Laufen und aufs Atmen der kalten, bitteren Luft, und Frank fühlte sich wohl dabei, und daß er sich dabei wohlfühlen konnte, nahm er als gures Zeichen, als Zeichen dafür, daß er irgendwie dazugehörte.
11. PARTY
Als sie in der Pfuelstraße ankamen, fanden sie die Party nicht.
»Ich dachte, die findet sich von alleine, so klein wie die Pfuelstraße ist«, sagte Martin entschuldigend, als sie langsam die Pfuelstraße hinuntergingen und links und rechts in den Fenstern der Häuser nach den Anzeichen einer Party suchten.
»Soll das so ‘ne große Party sein, in einer von den Fabriketagen da«, sagte Karl und zeigte zur anderen Straßenseite, »oder sowas in so ‘ner normalen Wohnung oder was? Von wem hast du das denn mit der Party?«
»Weiß ich nicht mehr, das haben mehrere gesagt«, sagte Martin. »Das hat irgend jemand gesagt, daß hier ‘ne Party wäre, H.R., glaube ich, H.R. hat das gesagt. Oder sonst jemand, irgend ‘ne Frau oder so. Soll ein Riesending sein.«
»In der Pfuelstraße?« sagte Karl zweifelnd. Sie waren am Ende der Pfuelstraße angelangt und standen am steinernen Ufer eines Flusses, wohl der Spree, das kann nur die Spree sein, dachte Frank, oder die Havel, was wußte er denn, aber er wollte nicht fragen und sich lächerlich machen. Direkt vor ihnen stand ein großes Schild, darauf stand: »Achtung, Lebensgefahr! Wasserstraße gehört zum Ostsektor von Berlin«. Darunter stand dasselbe noch einmal auf türkisch, und Frank fiel auf, daß dort für >Wasserstraße< das Wort >kanali< benutzt wurde, wahrscheinlich ist es gar kein Fluß, dachte er, wenn es ein Fluß wäre, dann würden die doch kaum> Wasserstraße< schreiben, das wäre doch total daneben, dachte er, niemand würde die Weser >Wasserstraße< nennen, und wenn die Türken >kanali< sagen, dachte er, dann kann das nur ein Kanal sein, aber ein ziemlich großer, dachte er, das ist schon ein beeindruckend großer Kanal, aber wenn es ein Kanal ist, dann kann
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