Der kleine Dämonenberater
öffnen können, um die Verantwortung für die Menschenmassen da draußen von sich zu schieben, während er friedlich und tatenlos im Nebel des Alkohols versank.
Brine hatte sich in Pine Cove niedergelassen, weil er Konflikten aus dem Weg gehen und ein Leben führen wollte, das erfüllt war von einfachen Genüssen. Er wollte meditieren und sich eins fühlen mit der Schöpfung. Nun, da er unter dem Zwang stand zu handeln, stellte er fest, daß er die ganze Zeit über auf dem Holzweg gewesen war. Das Leben war Handeln, es gab keinen Frieden diesseits des Grabes. Er hatte über einen Kendo-Schwertkämpfer gelesen, der das Zen der kontrollierten Spontaneität dadurch erreichte, indem er nie eine Attacke des Gegners vorherzusehen versuchte, wodurch er nie in die Verlegenheit kam, seine eigene Strategie einem unvorhergesehenen Angriff anzupassen, und stets selbst agieren konnte. Brine hatte sich vom Strom der Ereignisse abgeschnitten und sein Leben in eine Festung verwandelt, die ihm Bequemlichkeit und Sicherheit bot, aber er hatte nicht bemerkt, daß diese Festung auch ein Gefängnis war.
»Denke lang und sorgsam über dein Schicksal nach, Augustus Brine«, sagte der Dschinn, den Mund voller Kartoffelchips. »Deine Nachbarn zahlen dafür mit ihrem Leben.«
Brine stützte die Hände auf die Sessellehnen und erhob sich. Er rauschte in sein Arbeitszimmer und kramte in den Schubladen seines Schreibtisches, bis er einen Stadtplan von Pine Cove gefunden hatte. Er breitete ihn auf dem Schreibtisch aus und teilte den Ort mit einem roten Marker in verschiedene Zonen ein. Gian Hen Gian kam währenddessen zur Tür herein.
»Was wirst du tun?«
»Den Dämon finden«, sagte Brine zähneknirschend.
»Und wenn du ihn findest?«
»Keine Ahnung.«
»Du bist ein guter Mann, Augustus Brine.«
»Und du bist eine Nervensäge, Gian Hen Gian.« Brine faltete den Plan zusammen und ging aus dem Zimmer.
»Wenn es so sein soll, dann sei es so«, rief der Dschinn ihm hinterher. »Aber ich bin eine große Nervensäge.«
Augustus Brine entgegnete nichts. Er war schon auf dem Weg zu seinem Pick-up. Als er davonfuhr, fühlte er sich allein und hatte Angst.
ROBERT
Augustus Brine war nicht der einzige, der an diesem Abend von Furcht und Angst erfüllt war. Als Robert bei Sonnenuntergang zum Wohnwagen von The Breeze zurückkehrte, waren auf dem Anrufbeantworter drei beunruhigende Nachrichten: zwei vom Vermieter und eine unbestimmt gehaltene Drohung von dem Drogenhändler mit dem BMW. Robert spulte das Band dreimal zurück, in der Hoffnung, daß Jennifer vielleicht doch eine Nachricht hinterlassen hatte, doch diese Hoffnung war vergebens.
Der Versuch, sich im Slug die Kante zu geben, war kläglich gescheitert. Sein Geld hatte nicht einmal annähernd gereicht, um sich um den Verstand zu trinken. Das Angebot von Rachel würde ihn auch nicht retten. Wenn er es genau betrachtete, würde ihn nichts retten. Er war ein Verlierer, da gab es nichts zu deuten. Diesmal würde ihn niemand retten, und sich an den eigenen Haaren aus dem Schlamassel zu ziehen hatte er einfach nicht drauf.
Er mußte Jenny sehen. Sie würde ihn verstehen. Aber so, wie er jetzt aussah – seit drei Tagen nicht mehr rasiert, Kleider, in denen er geschlafen hatte, und aus allen Poren nach Bier und Schweiß stinkend –, konnte er ihr nicht unter die Augen treten. Er zog sich aus und ging ins Badezimmer. Er nahm den Rasierschaum und seinen Rasierapparat aus dem Wandschrank und trat in die Dusche.
Wenn er ihr gegenübertrat und rein äußerlich Selbstachtung demonstrierte, würde sie ihn ja vielleicht wieder aufnehmen. Sicher vermißte sie ihn. Und er wußte wirklich nicht, ob er noch eine weitere Nacht allein überstehen würde. Eine Nacht voller Grübeln, in der er den ganzen Alptraum erneut durchlebte.
Er drehte die Dusche auf, und der Wasserstrahl traf ihn wie ein Hammerschlag. Er hatte das Gefühl, seine Lunge springe ihm aus dem Leib. Das Wasser war eiskalt. The Breeze hatte die Gasrechnung nicht bezahlt. Robert riß sich zusammen und ließ die kalte Dusche über sich ergehen. Er mußte gut aussehen, wenn er sein Leben wieder auf Vordermann bringen wollte.
Dann ging das Licht aus.
RIVERA
Rivera saß in einem Café in der Nähe des Reviers. Er trank gelegentlich einen kleinen Schluck von seinem koffeinfreien Kaffee, zog an seiner Zigarette und wartete. Von fünfzehn Jahren im Dienst hatte er schätzungsweise zehn mit Warten zugebracht. Nun, da er alles
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