Der kleine Dämonenberater
einen Orangensaft. Ich bin auf der Suche nach einem Haus.« Sie zog ein Bein auf den Hocker. »Sie wissen nicht zufällig jemand, der ein Haus zu vermieten hat, oder?«
In den kommenden Jahren sollte kaum ein Tag vergehen, an dem Jim Beer sich nicht daran zu erinnern versuchte, was denn nun an jenem Tag genau vorgefallen war. Alles, was er wußte, war, daß er seinen Pick-up über einen alten Feldweg auf die Ranch steuerte und Rachel ihm in ihrem alten VW-Bus hinterherfuhr.
Von da an konnte er sich nur an Bruchstücke und Bilder erinnern: Rachel, die nackt auf der Pritsche lag, seine türkisbesetzte Gürtelschnalle, die mit einem dumpfen Schlag auf dem Boden landete, Seidenschals, die um seine Handgelenke geknotet waren, Rachel, wie sie auf ihm auf- und niederhüpfte, als würde sie ein Wildpferd zureiten, und er, wie er dann wieder in seinen Pick-up kletterte, die Stirn auf das Lenkrad lehnte und an seine Frau und Kinder dachte.
In den fünf Jahren, die seitdem vergangen waren, hatte Jim seinen Fuß nie auch nur in die Nähe des kleinen Hauses gesetzt. Jeden Monat trug er die Mieteinnahmen in einen Ordner ein und zahlte sie mit Bargeld aus seiner Pokerkasse auf das Geschäftskonto ein.
Einige seiner Freunde hatten gesehen, wie er an jenem Nachmittag mit Rachel aus dem Head of the Slug gekommen war. Als sie ihn das nächste Mal sahen, stießen sie ihn in die Rippen, machten unflätige Bemerkungen und stellten spitzfindige Fragen. Jim beantwortete die Sticheleien, indem er seinen Sommer-Stetson in den Nacken schob und sagte: »Jungs, dazu kann ich nur eins sagen, wenn ein Mann erst mal in die Wechseljahre kommt, wird's ein mühsamer Ritt.« Hank Williams hätte es auch nicht niederschmetternder ausdrücken können.
An jenem Abend, nachdem Jim gegangen war, hatte Rachel einige graue Haare vom Kopfkissen auf der Pritsche aufgelesen und mit einem roten Faden, den sie mit einem doppelten Knoten versah, zusammengebunden. Zwei Knoten genügten im Falle Jim Beers. Sie wollte gar nicht übermäßig viel Macht über ihn. Sie steckte das Haarbüschel in ein Glas für Babynahrung, das sie mit rotem Marker beschriftete und in den Schrank über dem Spülbecken stellte.
Mittlerweile war dieser Schrank voller Gläser, von denen jedes ein ähnliches Bündel enthielt, das mit einem roten Faden zusammengebunden war. Die Zahl der Knoten im Faden variierte. Drei der Bündel waren mit vier Knoten versehen. Das waren die Haarbüschel der Männer, die Rachel geliebt hatte. Und diese Männer waren lange unter der Erde.
Der Rest des Hauses war ausgestattet mit magischen Objekten, die Macht verhießen: Adlerfedern, Kristalle, Pentagramme und Webarbeiten mit magischen Symbolen. Im ganzen Haus gab es nichts, das auf die Vergangenheit hindeutete. Alle Fotos von Rachel waren aufgenommen worden, nachdem sie sich in Pine Cove niedergelassen hatte.
Die Leute, die Rachel kannten, hatten nicht den blassesten Schimmer, wo sie gelebt hatte, bevor sie in die Stadt gekommen war. Sie kannten sie als eine gutaussehende, mysteriöse Frau, die ihren Lebensunterhalt damit bestritt, daß sie Aerobic-Kurse veranstaltete. Oder sie kannten sie als Hexe. Ihre Vergangenheit war ein Rätsel, und genauso wollte Rachel es auch haben.
Niemand wußte, daß Rachel in Bakersfield aufgewachsen war, als Tochter eines Arbeiters auf den Ölfeldern, der weder lesen noch schreiben konnte. Sie hatten keine Ahnung, daß sie einst ein fettes, häßliches Mädchen gewesen war, das sich selbst erniedrigte, um widerwärtigen Männern ekelhafte Gefallen zu tun in der Hoffnung, wenigstens auf diese Weise so etwas wie Anerkennung zu erfahren. Schmetterlinge schwelgen auch nicht in ihrer Vergangenheit als Raupen.
Rachel hatte den Piloten eines Schädlingsbekämpfungsflugzeugs geheiratet, der zwanzig Jahre älter war als sie. Damals war sie achtzehn.
Es war auf dem Vordersitz eines Pick-up auf dem Parkplatz einer Raststätte außerhalb von Visalia in Kalifornien passiert. Der Pilot – er hieß Merle Henderson – saß noch immer schwer atmend da, und Rachel versuchte den fauligen Geschmack in ihrem Mund mit einem lauwarmen Budweiser herunterzuspülen. »Wenn du das noch mal machst«, hatte Merle gekeucht, »dann heirate ich dich.«
Eine Stunde später flogen sie in Merles Cessna 152 über die Mojave-Wüste in Richtung Las Vegas. Merle kam in zehntausend Fuß Höhe. Getraut wurden sie unter dem Neonbogen einer abgeranzten Kapelle mit Betonmauern, die gleich neben dem Strip in
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