Der kleine Erziehungsberater
wieder ernst und das kleine Mädchen wieder verzweifelt. Und ich? Ach, Kissen.
Schöne Tage
S oweit ich weiß, gibt es auch Menschen, die keine Kinder haben wollen. Ich glaube, sie schlafen am Wochenende lieber lange, und später am Tage sieht man, wie sie ihre Mountainbikes aufs Auto laden und zu einsamen Radtouren in die Berge aufbrechen, und sie wohnen in Altbauwohnungen mit ganz viel Ambiente, weil sie eine Menge Geld haben, denn von ihrem Gehalt müssen ja nur sie allein leben, und wenn sie Lust haben, tragen sie zwei Armani-Sakkos übereinander und essen pochierte Ameiseneier, und wird es dunkel, stellen sie die Musik ganz laut, um ihre eigenen Seufzer nicht zu hören. Na ja, entschuldigen Sie. So stelle ich mir das eben vor.
Manchmal beneide ich diese Leute, aber dann auch wieder nicht, denn sie haben keine Marie, die sie beim Essen anschaut und den Kopf schieflegt und mit leiser, heller Stimme sagt: »Schmeckt gut, ja?« Einen Max haben sie schon gar nicht, für den sie im Schwimmbad das Seeungeheuer spielen, und nur einmal im Leben haben sie einen ersten Schultag, ihren eigenen.
Das ist schon ein paar Wochen her, dass Anne in die Schule gekommen ist, aber ich werde den Tag nie vergessen. Sie haben eine wunderschöne Feier gemacht mit Schülern, Lehrern und Eltern als Publikum vor einer Bühne, auf der die Lehrerin stand und die neuen Schüler einzeln mit Namen rief. Jedes Kind musste auf die Bühne kommen, gab der Lehrerin die Hand und bekam eine Sonnenblume, und als alle da waren, erzählte sie ihnen eine Geschichte, und dann gingen alle zusammen in ihr Klassenzimmer.
Wissen Sie, was Antje und ich gedacht haben, als wir mit Anne im Auditorium saßen und warteten, dass sie aufgerufen wurde? Nie, haben wir gedacht, nie geht Anne allein an den ganzen Leuten vorbei, nie geht sie allein auf die Bühne, und nie gibt sie der Lehrerin allein die Hand. Never! (Sie ist so schüchtern wie ihr Vater, ich hab’ das schon mal erzählt, und so stur wie er ist sie sowieso.)
Und was geschah, als die Lehrerin »Anne Hacke« rief. Anne stand auf, ging allein an den ganzen Leuten vorbei, allein auf die Bühne, und allein gab sie der Lehrerin die Hand. Einmal hat sie sich umgeschaut unterwegs. Und ich saß da, und mir zitterte die Unterlippe, aber geheult habe ich erst nachts, als ich aufwachte und wieder daran denken musste. Steht das Kind auf und geht allein weg von uns, dachte ich – das ist schön und schwer zugleich. Erziehen heißt, dachte ich noch, Kinder in Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu führen, und davon haben wir wieder ein Stück geschafft – Antje vor allem natürlich, aber ich auch ein bisschen.
Antje hat übrigens gesagt, sie hätte nachmittags im Garten hinter der Hecke Anne und Felix belauscht, ihren Freund und Schulkameraden, und Anne hätte gesagt:
»Ach, was hatten wir heute für einen schönen Tag, Felix. Und morgen haben wir wieder so einen schönen.« Und ich auch, Leute. Ich auch!
Autoritätsverluste
D as Schönste im Elternleben sind die Gespräche mit anderen Eltern, trostreiche Abendunterhaltungen, wenn die Kinder schlafen und das Babyphon leise rauscht und knarzt. Dann reden wir über Erziehen und Nichterziehen, über Windeln und Wandeln und das Wunder des Erwachsenwerdens. Neulich erzählte Luise, wie schön das letzte Wochenende gewesen sei, als sie habe ausschlafen dürfen, weil Uwe sich morgens um die Kleinen gekümmert habe, und sie sprach den unsterblichen Satz: »Uwe hat die Kinder gemacht, und ich habe Kaffee getrunken.«
Aber wissen möchte sie schon, rief Claudia dann, warum normalerweise die Frauen immer sofort aufstehen, wenn die Kinder Mist machen oder etwas umschmeißen, und die Männer immer sitzen bleiben?
Das sei so eine Art Grundgesetz des Zusammenlebens, hat Antje ihr erklärt.
»Aber warum?«, hat Claudia gerufen.
»Männer sehen eben alles lockerer«, warf ich müde ein, denn ich wusste, dass ich nicht recht hatte.
»Nein, sie wissen, dass die Frauen schon aufstehen werden«, sagte Antje.
Da ging die Tür noch einmal auf, und Luise-Uwes Töchterlein stand da und schrie: »Mama, was hab’ ich dir gesagt?! Hast du das nicht verstanden? Du sollst doch meine Lieblingsbluse neben mein Bett legen, damit ich sie morgen früh gleich habe!«
Ja, die Kinder sind heute autoritärer als die Eltern, und siesind abgeklärt und überlegen. Antje hat erzählt, nach einer Auseinandersetzung mit der kleinen Anne sei sie ratlos und verzweifelt dagestanden und habe
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