Der kleine Fluechtling
gelandet.
»So een Wrack mecht nie mehr een Zimmerchen beheezn«, sagte Ulrich zu sich selbst, nachdem er einen scharfen Blick auf das ramponierte Ding geworfen hatte.
Der Kamin des Ofens, in seiner ursprünglichen Form glatt und geradlinig wie ein Kanonenrohr eben, wirkte mit all seinen Rissen und Knicken wie der gefältelte Blasebalg einer Ziehharmonika. Von ehemals drei Beinen fehlten zwei, und die Feuertür schien verschollen, vermutlich war sie längst zweckentfremdet worden. De facto hielt Ulrich dieses Schrottknäuel auf seinem Hochsitz der Beachtung für nicht wert. Keinen halben Ziegelstein hätte er dafür eingetauscht.
Was aber Ulrich wie angeleimt auf seinen Posten bannte, waren die laufenden Bergungsarbeiten. Ein halbes Dutzend Deggendorfer Flüchtlingsschmäher arbeitete emsig daran, aus Erdklumpen und löchrigen Blechfässern, aus Feldsteinen und Betonbrocken einen Hügel aufzuschichten. Das Bauwerk versprach in sich zusammenzufallen, noch bevor es auf halbe Mauerhöhe angewachsen sein würde.
»Een Kranrad missten mer ham, een Kranradl, unbestritten!«
Es musste einfach laut ausgesprochen werden, dieses Schlüsselwort, das Erfolg garantierte. Jetzt ging es nicht mehr um Wert und Nutzen eines Haufen Alteisens, sondern einzig und allein darum, sich einer Herausforderung zu stellen.
Den Deggendorfern hatte es offenbar die Sprache verschlagen, denn Ulrich zählte dreiundzwanzig Atemzüge, bis der Anführer der Bande den Mund aufmachte.
»Ein Klobenradl brauchen mir! Wo er recht hat, hat er recht, der Böhmack«, vermeldete der Junge lautstark, den Namen der Patentlösung ins Bairische übersetzend.
Am Ende bargen die Bayern und der Böhmack den Kanonenofen gemeinsam.
Mit »Hauruck« und »Ieber die Kante, aber sachte« und mit einem Kranrad, das Gerhard Schwarz (der Bandenchef) von seinem Onkel (dem Brauereibesitzer) auslieh, ohne lang um Erlaubnis zu fragen.
Nach der schlesisch-bayerischen Gemeinschaftsaktion spürte Ulrich das Beißen der Kälte auf einmal nicht mehr gar so heftig, und der Hunger zwickte nun nicht mehr ganz so gemein.
Teil III
1
Anna Langmoser schichtete Windeln und Gummihöschen auf Griffhöhe in einen nagelneuen Schrank aus Lärchenholz, den Willi millimetergenau in die Nische zwischen Wand und Kaminschacht eingepasst hatte. Die Baumwollhemdchen mit den Bändchen am Halsausschnitt und den halbierten zipfeligen Rückenteilen, die beim Anziehen übereinandergeschlagen und irgendwie fixiert werden mussten (manche Mütter benutzten dazu eine Sicherheitsnadel, was Anna jedoch ablehnte), legte sie ins Fach darunter. Das ganz unterste Fach blieb leer, weil sich Anna nicht mehr gern bückte, seit das Kind in ihrem Bauch verschwenderisch Raum beanspruchte.
»Höchste Zeit is worden, allerhöchste, dass wir endlich dem Max sein Zimmer kriegt habn«, schnaufte sie. »Alle vier in einer Kammer, wie hätt denn das gehen sollen?«
Die Langmosers lebten noch immer auf dem Hof von Annas Eltern, denn der Veit-Bäcker knauserte derart höllisch mit dem Lohn, dass an Mietzahlungen für eine eigene Wohnung einfach nicht zu denken war. Insofern hätte Anna also zutiefst dankbar sein müssen, dass ihr Bruder, der einarmige Max, eine Karriere hingelegt hatte, die ihm eine Drei-Zimmer-Wohnung mit Gartenanteil nahe am Donauufer eingebracht hatte, was den Langmosers zu einem weiteren Zimmer verhalf.
Anna war dankbar – durchaus. Aber hauptsächlich war sie neidisch.
Max war vor einiger Zeit hinsichtlich seines Verhaltens unter dem Naziregime verhört und überprüft worden. Weil er eine blitzsaubere Weste vorzuweisen hatte, bekam er seinen Arbeitsplatz beim Finanzamt von Bogen zurück, wo er schon vor dem Krieg Steuerbescheide begutachtet hatte.
Max setzte sich an seinen Schreibtisch, auf dem ein Aktenstapel für ihn bereitlag, als wäre er bloß ein paar Tage im Urlaub gewesen. Die Akten waren auf dem neuesten Stand, beschriftet und geordnet, denn die Steuerbehörde hatte nie kapituliert – vor dem 8. Mai ’45 nicht und nachher erst recht nicht.
Maxens fleckenlose Weste (im Verein mit der Tapferkeitsmedaille, die er anstelle eines rechten Arms tragen durfte) und die daraus resultierende angemessene Honorierung seiner Tätigkeit im Staatsdienst bescherten ihm besagte Wohnung mit Gartenanteil. Und all diese glücklichen Umstände zusammen waren es wohl, die ihm kurz darauf Rita in den Arm trieben, die prompt mit ihm vor den Traualtar trat, was den Neuhausenern ein nicht unbedeutendes
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