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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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von Erwin Streusel, dem Kretin unten im Dorf, bis hinauf zur Schloss-Nandl oben auf dem Hügel –, wie aberwitzig sich Liesls Bankert vor dem Ochsen Backel fürchtete? Niemandem war es bisher gelungen, Renate davon zu überzeugen, dass Backel ein lammfrommes Vieh war, das friedfertig unter seinem Joch dahinzog, wann immer das von ihm erwartet wurde. Ob vor dem Pflug oder vor dem Heuwagen, Backel schien alles gleich zu sein. Kein Kind, kein Besucher, nicht einmal das Hühnervolk musste vor ihm zittern.
    Renates Angst vor dem Ochsen war unbegründet, dumm und psychotisch. Doch diese Angst war da, und sie war so echt wie Backel selbst.
    »Aber a bisserl verstehn kann man’s schon, dass sich das Kind ängstigt«, sagten Nachbarn und Verwandte, »wo doch der Backel so grausig schnaubt und stampft und mit den Glupschaugen rollt – wie es Ochsen halt so machen und wo doch der Backel größer ist als wie ein Holzschuppen.«
    Eben. Und deshalb wäre es wohl keinem in den Sinn gekommen, Renate beim An- oder Ausschirren des Ochsen als Hilfskraft heranzuziehen.
    Keinem außer Anna.
    Sie sah Willi bereits mit dem Ochsengespann auf den Hof einbiegen und wollte eben nach Renate rufen, da entdeckte sie Wolli-Mausgesicht neben dem Fuhrwerk.
    »Der is mir grad noch abgangen heut«, murmelte Anna, »der Böhmack mit sein Mausgfries und seine langen Luser, mit denen wo er jeden Rülpser aufschnappt im ganzen Gäu.«
    Missmutig sah sie zu, wie Wolli dem Backel ins Geschirr griff. Die Rolle, die sie Renate zugedacht hatte, um dem Balg die Freude an den gräflichen Schuhen zu verderben, hatte der blöde Böhmack an sich gerissen.
    Inzwischen waren Max und Rita um den Hollerbusch am Hauseck gebogen. Maxens hohler Jackenärmel steckte elegant in der aufgesetzten Sakkotasche. Rita trug ein schickes Kostüm aus dunkelgrünem Leinenstoff.
    Eine Woge aus Neid schwappte über Anna zusammen.
    »Gut eingfasst is er, unser Herr Steuereintreiber«, bestätigte sie sich selbst und ließ Maxens jüngst erlangten Besitz vor ihren Augen vorüberziehen: Einen Neubau hat er sich hingstellt, der Herr Max, direkt unterm Bogenberg. Sogar ein Panoramafenster hat er einsetzen lassen, damit die Rita mit ihren fetten Hortensien und Begonien protzen kann. Und letzthin hat er noch eine Blockhütten auf sein Grund bauen lassen – für den Hund.
    »Und wo kommt er her, der ganze Reichtum?«, fragte Anna den Türstock, nahm ihm allerdings die Mühe einer Antwort ab. »Von dem ausgekochtesten Leutschröpfen, das wo man jemals erlebt hat. Der Max«, verkündete sie dem rissigen Holz, »der wär ein ganz kleines, harmloses Lichterl blieben in seinem Steuerbüro, wenn ihm nicht dieses verschlagene Flüchtlingsbürscherl ins Haus gflattert wär.«
    Wieder einmal stieß es Anna sauer auf, dass der Böhmack im gemachten Nest saß, während die Langmosers noch immer keine eigene Wohnung hatten und auf dem Himmelberghof mit zwei Zimmern vorliebnehmen mussten.
    »Aber der Böhmack«, sagte Anna leise, »der bringt dem Max auch einen Haufen ein.«
    Genau so war es. Und seiner Karriere sowie all der geschätzten Habe zuliebe konnte Max nicht riskieren, dass ihm Wolli jemals weggenommen werden würde. Deshalb hatte er ihn adoptiert.
    Das wurmte Anna am meisten, denn damit standen Wolli die gleichen Rechte am Familienbesitz zu wie Gerda und ihrem kleinen Brüderchen.
    »Aber grad alles geht ihm doch nicht so aus, wie er’s gern hätt«, vertraute Anna dem Türstock an. »So ausgfuchst, wie das Mausgfries beim Leutausspioniern auch is, so deppert stellt sich’s mit dem Lesen und mit dem Rechnen an. Da kann sich der Max noch so einspreizen beim Schulrektor, und die Rita kann dem Böhmack das Einmaleins jede Stund vorbeten, die Mittelschul, die packt der Böhmack nicht, auf keinen Fall packt der die.«

2
    In dieser Woche sah Anna die Liesl bereits am Mittwochabend über den Donaudamm zum Himmelberg zurückradeln. Liesl hatte wohl über den Prangertag von den Lindners freibekommen.
    Das war zu erwarten gewesen, denn an Fronleichnam ruhte jedweder Geschäftsbetrieb in den römisch-katholischen Sphären.
    Seit der versammelte Klerus 1311 auf dem Konzil von Vienne den Begriff »Fronleichnam« kreiert, den ersten Donnerstag nach Dreifaltigkeit zum zugehörigen Feiertag deklariert und als Zeichen des Triumphes der Wahrheit über die Häresie für diesen Tag Prozessionen initiiert hatte, ziehen alle Gläubigen (aber auch die weniger Gläubigen) im Gefolge der geheiligten Monstranz

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