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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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über Wege und Flure. Junge Birkenstämmchen nicken ihnen von Hauseingängen aus zu, gelb-weiße Fähnchen winken aus Fenstern, Wiesenblumen liegen ihnen bei den Feldaltären zu Füßen.
    »Was zerst? Wirst dich schon entscheiden müssen«, verlangte Liesl und setzte hinzu: »Weil mehr wie zwei Händ hab ich net.«
    Es war eine lange Litanei von Instruktionen, die Anna heruntergerasselt hatte, als Liesl am Fronleichnam-Morgen in der Küche aufgetaucht war.
    »Füllst halt zuerst die Gickerl mit dem Knödlteig, dass mir die gleich in die Röhren reinbringen, sonst werdens uns nimmer fertig bis um zwölf. Denk halt selber mit! Das kannst dir sowieso gleich angwöhnen, weils jetz bald aus is damit, dass ich mich da heroben um alles kümmer. Und weißt was, das passt mir gut, hervorragend passt’s mir, dass ich mit meiner Familie endlich in eine eigene Wohnung zieh, lang hätt ich das sowieso nimmer durchgstanden, dass die ganze Verwandtschaft an mein Rockzipfel hängt.«
    Täuschte sie sich, oder verbiss sich Liesl das Lachen?
    Die freut sich diebisch, dass sie mich loswird, dachte Anna. Wird schon sehen, was sie davon hat. Wer soll denn ab jetzt hier die Stellung halten? Wer soll sich darum kümmern, dass im Haushalt alles reibungslos funktioniert; dass die Leut nicht vor verschlossener Tür stehen, wenn sie Milch und Eier und Gemüse holen wollen; dass ihr Balg seine Hausaufgaben macht? Alle werden sie drunter leiden, wenn bald zwei fleißige Hände weniger da sind – zum Obsteinwecken, zum Kartoffelklauben und vor allem zum Gurkenpflücken, wenn quasi von einem Tag auf den andern ein ganzes Feld abgeerntet werden muss, damit möglichst wenig Ausschuss anfällt.
    Tatsächlich freute sich Liesl, Anna loszuwerden, aber ihre Belustigung hatte auch noch einen anderen Grund. Es war nämlich eindeutig zu spüren, dass es Anna (was sie nicht einmal vor sich selbst zugeben würde) letztendlich verteufelt schwerfiel, den Himmelberghof zu verlassen.
    Aber es war abgemacht. Ende Juni würde Familie Langmoser nach Deggendorf umziehen. Anna sollte künftig mit Mann und Kindern in einer Drei-Zimmer-Wohnung über der Kohlenhandlung Limmer wohnen.
    Aus Liesls Kehle drang ein als Schnarchton verkleideter Lacher.
    Anna warf ihr einen bitterbösen Blick zu, dann rauschte sie in die Schlafkammer, wo Gerda quengelte, weil sie das neue Kleid schon jetzt anziehen wollte, nicht erst kurz vor der Prozession.
    Ja, es war schwer zu schlucken, dass Liesl und ihr Balg unangefochten auf dem Himmelberghof zurückbleiben würden, während Anna selbst eine ärgerliche Schlappe einstecken musste. Denn eine Bleibe nächst der Kohlenhandlung war das Letzte, was sie sich gewünscht hatte.
    »Wir können wirklich heilfroh sein«, hatte Sepp Langmoser neulich zu seiner deutlich missgestimmten Frau gesagt, »dass mir der Limmer die Arbeit und die Unterkunft angeboten hat.«
    Sepp Langmoser hatte geraume Zeit nach einer neuen Stelle gesucht, weil der Sohn des Veit-Bäckers inzwischen alt und erfahren genug war, ihn zu ersetzen. Nach und nach hatte Annas Mann in allen Backstuben im Landkreis um Arbeit gefragt, aber keiner der Bäckereibesitzer wollte ihn einstellen. »Ja was meinst denn, Langmoser, wie viel Semmeln ich an ein normalen Werktag verkauf? Zwenig, das kannst mir glauben!«
    Da die Antwort überall gleich oder ähnlich lautete, blieb Sepp nichts anderes übrig, als auch bei Fuhrunternehmen, Bauherren und Kaufleuten anzuklopfen. Irgendwann geriet er an den Kohlenhändler Limmer, der zum Koksausfahren einen Gehilfen benötigte. Sepp nahm die Stelle augenblicklich an.
    Anfänglich fand Anna auch nichts dagegen einzuwenden. Erst als sie erfuhr, dass Limmer die Bedingung gestellt hatte, sein Angestellter müsse in die Wohnung über dem Kohlenlager einziehen, wurde sie fuchtig.
    »Ja, was meinst denn, was mir da für einen Dreck kriegen? Die Fenster, die Wänd, das Gschirr und die Betten, alles wird immer rußig sein von dem Kohlenstaub.«
    Sepp Langmoser stritt das nicht ab, machte aber auch keinen Rückzieher. »Der Limmer will, dass Tag und Nacht jemand ein Aug auf die Ware hat, weil die nämlich sonst jede Stund weniger wird. Und ich hab eingeschlagen.«
    Es war wie damals in Münzhausen. Anna hatte keine Wahl. Sie machte ein langes Gesicht.
    Da versprach ihr Mann, vor dem Umzug die Wände der Wohnung über dem Kohlenlager frisch zu kalken und die rußgeschwärzten Fensterbänke abzuhobeln. Willi kündigte Anna an, er würde ihr für das neue Heim

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