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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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vorn zipfelt?«
    Gerda hüpfte von der Herdseite, wohin sie auf Annas Anweisung den Wasserkessel zurückgestellt hatte, zu der Stubenecke, in der die Nähmaschine stand.
    »So, und jetz bittschön sei so gut und stell dich ganz grad hin«, ordnete Liesl an. »Nicht nunterschaun, Herrschaftszeiten.«
    Sie steckte die letzte Nadel in den Saum, hieß Gerda das Kleid ausziehen und eilte an den Küchentisch, um sich eine zweite Tasse Kaffee einzuschenken.
    »Kannst nicht gnugkriegen davon«, sagte Anna spitz.
    Insgeheim musste sie zugeben, dass Filterkaffee aus echten Bohnen einfach unübertrefflich war. Liesl hatte bei den Lindners gelernt, wie man ihn aufbrühte, und die Neuheit auf dem Himmelberghof eingeführt. Bei Liesls Herrschaft wurde nämlich das Kaffeepulver nicht einfach ins Wasser gemischt, um dann beim Trinken körnig zwischen den Zähnen zu schmirgeln. Bei Liesls Herrschaft wurde der Kaffeesatz weggefiltert.
    »Ein Genuss«, antwortete Liesl, »den kannst du mir ruhig gönnen, bevor ich den Rocksaum in Handarbeit umnäh. Oder möchst, dass die Stiche von außen zu sehn sind?«
    Natürlich nicht, dachte Anna und hielt sich zurück. Die is imstand und säumt das Röckl mit einem weißen Sternzwirn ein, wenn ich’s ihr zu dumm mach. Sie erinnerte sich an Liesls Blick, der sie am Himmelfahrtstag beinahe in Angst versetzt hatte.
    Anna hatte Liesl Zeitung lesend in der Küche angetroffen und sich nicht enthalten können zu sagen:
    »Leut gibt’s, die sitzen gmütlich in der warmen Stuben und lassen andere schuften. Seit in der Früh um sechse is die Mutter z’Mainkhofen drüben und gibt den Närrischen das Essen ein und die Medizin sowieso. Den Hintern muss sie denen abwischen und die rotzigen Nasen auch. Der Vater is mit dem Willi beim ersten Hellwerden schon aufs Hubinger Feld naus – heut am Feiertag –, weil Regenwetter gmeldet is für morgen und für übermorgen. Mein Sepp hilft auch mit, obwohl er morgen früh um viere wieder in der Backstub stehen muss. Sogar der Max langt zu. Grad hab ich für alle Schmalznudeln rausbracht aufs Feld. Von den unsrigen schaut jeder, dass wir durchkommen, alle miteinander, bloß …«
    Anna hatte das Wort Bankert nicht ausgesprochen. Sie hatte überhaupt nicht weitergeredet. Es genügte ihr, Liesl in Harnisch zu bringen.
    »Weil das net langt«, hatte die geschrien, »dass ich die ganze Wochn über beim Lindner eingspannt bin! Hab eh bloß den Sonntag und ein paar Feiertag frei. Die Mutter, die kriegt für jeden Sonntagsdienst, den wo sie im Irrenhaus ableist, unter der Wochn eineinhalb freie Tag, und der Bauer, der kann sich oft genug ausrasten, wenn’s regnet draußen.«
    Anna war der Schrecken in die Glieder gefahren, als Liesl schier rasend fortfuhr: »Aber eine ham mir im Haus, die braucht sonst nix tun als wie anschaffen und kommandieren und saublöd daherreden!« Liesls Blick war Anna geradezu irr vorgekommen, als sie leise anfügte: »Aber es könnt der Tag schon noch kommen, an dem es ihr verflixt leidtut, wie sie sich aufgführt hat.«
    Abwarten!, befahl sich Anna jetzt, geduldig abwarten, bis das Kleidchen gestärkt und gedämpft auf einem Bügel an der Kranzleiste von meinem Kasten hängt.
    Sie presste die Lippen aufeinander, machte sich am Herd zu schaffen, legte zwei Holzscheiter nach, leerte den Wasserkessel über dem Efeustock im Herrgottswinkel aus, zupfte nebenbei drei welke Blätter ab und fuhr abschließend mit dem Schürzenzipfel über die Oberkante des vergoldeten Rahmens, der die Heilige Jungfrau umkränzte.
    Liesl steckte die Nadel ins Nadelkissen und warf das Kleid über eine Stuhllehne. »Bügeln wirst es wohl selber können.«
    Anna nickte ihr zu, nahm das Bügeleisen, das bereits auf der noch warmen Herdplatte seiner Aufgabe harrte, und begann den Saum zu plätten. Aber schon nach wenigen Minuten stellte sie es wieder ab, rief ihre Tochter und verließ mit ihr die Küche. Als Anna wenig später allein zurückkehrte, plättete sie eine Weile schweigend weiter, bevor sie verkündete: »Ich hab die Gerti ums Bier gschickt.«
    Befriedigt registrierte sie, dass Liesl alarmiert aufhorchte.
    Jeder im Haus wusste, wie sehr Gerda es hasste, am Sonntagnachmittag für den Bauern einen Krug Bier aus dem Dorfwirtshaus holen zu müssen. Denn dort spielte sich dann immer eine Weil-ich-dich-gleich-packen-werde-Szene wie aus »Rotkäppchen und der Wolf« ab. Das jedenfalls behauptete Gerda, und Renate stimmte ihr darin zu. Beide Mädchen versuchten ständig,

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