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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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die Limmerin bloß meinen, ich könnt holterdiepolter eine Arbeitsstell und eine Wohnung herzaubern?«
    Die Gesichter der Verwandten spiegelten unterschiedliche Gemütsbewegungen wider. Mutter und Vater sahen besorgt drein. Max schien intensiv über eine Lösung nachzudenken. Hinter Liesls ernster Miene glaubte Anna Schadenfreude zu lesen. Und Willi, lieber Himmel, Willi grinste übers ganze Gesicht.
    Jetzt ist er komplett übergeschnappt, dachte Anna.
    Im selben Moment hob Willi den Zeigefinger und deutete nach Süden. »Die Villa Katherina is genau das Richtige für euch. Im ersten Stock könnts wohnen, und im Erdegeschoss könnts einen Laden betreiben.«
    Depp, dachte Anna.
    Die sogenannte Villa hatte ihre guten Zeiten weit hinter sich. Verwittert und verwahrlost stand sie am Ortsrand von Neuhausen, nicht weit von der Landstraße nach Metten entfernt. Die Offenberger Schlossherrschaft versuchte seit Jahren, diese Besitzung, die ihr bloß noch eine Last war, zu verkaufen oder wenigstens zu verpachten. Bisher ohne Erfolg.
    »Keine schlechte Idee«, meldete sich Max zu Wort.
    »Spinnst du?«, schrie Anna. »Selbst wenn der Kasten nicht so runtergekommen wär, wie sollt sich da ein Laden rentiern, wo doch die Burgel keine hundert Meter weiter unten eh einen betreibt?«
    Willi grinste noch breiter als zuvor. Anna hätte ihm am liebsten eine gelangt. Erneut hob er den Zeigefinger und deutete aufs Tellerbord. »Haushaltswaren.«
    »Ideal«, lachte Max.
    Es dauerte eine Zeit lang, bis in Annas Hirn sank, dass Willis Einfall wirklich genial zu nennen war. Denn was den Neuhausenern seit jeher fehlte, war ein Geschäft, in dem sie – von der Wäscheleine bis zum Nudelholz – Artikel für den täglichen Gebrauch kaufen konnten.
    Genial, aber leider nicht durchführbar, dachte Anna.
    Sie fasste zuerst Willi, dann Max scharf ins Auge und sagte: »Ein sauberer Laden wär das, wo es die Mauerbrösel und das Holzwurmmehl auf die Ware und auf die Kunden regnet.«
    »Lasst sich alles richten«, murmelte Willi daraufhin schläfrig und machte die Augen zu.
    Anna schüttelte ihn wach. »Was du net sagst. Von was denn und von wem denn?«
    Willi straffte sich und antwortete: »Wenns auch von der Weiten ausschaut wie ausbombt, die Villa Katherina. Glaub’s mir, die Mauern sind trocken, der Dachstuhl is gsund, die Dachziegel halten dicht. Was ihr brauchts, sind neue Fensterstöck, die setz ich euch ein. Jetz im Winter, wo ich Zeit hab, is das überhaupt keine Sach. Nachher müssts halt noch neu verputzen und alles runterweißen.«
    »Über dem Laden«, ließ sich Max hören, »habts eine Fünf-Zimmer-Wohnung mit Aussicht aufs Schloss.«
    Anna sah, wie ihr Mann nachdenklich den Kopf wiegte, merkte, wie Gerda die Ohren spitzte.
    »Villa Katherina!« Das klang nicht nur viel schöner als »Kohlenhandlung Limmer«, es ließ an Samtsofas denken, an Kristallschalen und silberne Kerzenleuchter. »Villa Katherina« hörte sich unheimlich vornehm an. War die Sache nicht eventuell einen Versuch wert?
    Bevor Anna wusste, wie sie umschwenken könnte, ohne sich dabei etwas zu vergeben, sagte ihr Mann: »Vielleicht sollten wir uns den Kasten mal von der Näh anschaun.«
    Das taten sie bereits am nächsten Tag mit Willi als Fachmann und Max als Berater im Gefolge.
    Auch aus der Nähe besehen zeigte die Villa Katherina mit einem herrschaftlichen Besitztum genauso wenig Ähnlichkeit wie das kohlenstaubige Limmer-Anwesen. Doch Willi gab sich begeistert. Die Langmosers schauten eher skeptisch drein. Selbst Annas Mann, der letztendlich jedoch feststellte, dass sie eine andere Wahl ja nicht hatten, wirkte pessimistisch.
    In den folgenden Wochen brachte Willi seine schlaflosen Nächte in der Schreinerwerkstatt zu, die er sich in einem Anbau am Himmelberghof eingerichtet hatte, und zimmerte Fensterstöcke. Sepp werkelte in der Villa, schlug losen Putz von den Wänden, brach verfaulte Fenster- und Türstöcke heraus, schliff Holzböden ab.
    Als Willi an Lichtmess mit den Schreinerarbeiten fertig war, sagte Anna: »Was helfen denn die neuen Stöck, wenn mirs nicht einmauern können? Weit unter null Grad hats, wie soll denn da der Mörtel fest wern?«
    Willi grinste wieder einmal. »Wenn im Januar die Kälte kracht, der Februar es wärmer macht!«
    Am Morgen darauf fing es an zu regnen. Das Thermometer zeigte plötzlich elf Grad plus. Willi begann, die Fensterstöcke einzusetzen. Annas Mann rührte den neuen Verputz an.
    Bald nach Gerdas zwölftem Geburtstag

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