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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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machte, wenn Anna Langmoser gerade dringend ein Säckchen Mehl, ein Tütchen Zucker, ein Päckchen Reis brauchte. Gerda vertrieb sich die Wartezeit lieber bei den Brausewürfeln und den Zuckerstangen.
    Im Laufe des Sommers 1958 fiel ihr allerdings auf, dass sie nicht die Einzige war, die immer dann auf Burgels Laden zusteuerte, wenn der Keisling-Lieferwagen vor der Tür stand. Regelmäßig traf sie dort mit Liesls Tochter Renate zusammen. Eigenartigerweise schien aber Renate selten wegen eines Auftrags für Handarbeiten hier zu sein, denn meist trat sie gar nicht in den Laden, sondern lungerte vor dem Schaufenster herum. Manchmal lehnte sie auch am Kotflügel des Lieferwagens und quatschte mit dem Kerl von der Brauerei, wenn Gerda mit ihrem Einkauf wieder herauskam. Ja, es war unfein, taktlos und unschicklich, und Gerda hatte kein gutes Gewissen dabei, aber eines Tages siegte die Neugier. Was in Gottes Namen hatte Renate mit dem Brauereiheini zu schaffen?
    Als die beiden wieder einmal neben dem Lieferwagen beisammenstanden, lief Gerda um den Kombi herum und verbarg sich zwischen den geöffneten Hecktüren. Was sie jedoch von dem Gespräch zwischen Gerhard und Renate erlauschen konnte, ließ sie kopfschüttelnd nach Hause gehen. »Das Wichtigste beim Hohlsaum ist das Fadenzählen«, hatte Renate gesagt. »Wenn du das gescheit machst, kannst du dir eine Aussteuer anfertigen, um die dich sogar die von Bray-Steinburg beneiden.« – »Das Ausschlaggebende beim Saxophonspielen ist das Atmen«, sagte der Brauerei-Kerl. »Das Atmen und eine natürliche Spieltechnik.« Gerda fragte sich, wie man sich an einen schlammbespritzten Kotflügel lehnen und solchen Stuss reden konnte.
    Dann kam jener Samstag im Juli, an dem nicht Renate, sondern Gerda am Kotflügel lehnte.
    Gerda strebte mit der Einkaufstasche in der Hand auf Burgels Geschäft zu.
    »Rasch«, hatte Anna gerufen, »hol ein Packerl Zündhölzer bei der Burgel, ein Pfund Kaffee und fünf Knackwürscht fürs Nachtessen.«
    Wie immer, wenn Anna »rasch« etwas aus Burgels Laden brauchte, stand der Keisling-Lieferwagen vor der Ladentür. Beim Näherkommen konnte Gerda durch das Schaufenster Burgel und den Brauburschen – Renate hatte ihr erzählt, sein Name sei Gerhard – hinter dem Tresen stehen sehen.
    Wo ist denn die Renate heut?, fragte sich Gerda und sah sich um. Sie äugte gerade ums Heck des Lieferwagens, als der sich plötzlich in Bewegung setzte und auf die kleine Böschung zusteuerte, unterhalb der Burgels Gemüsebeet lag.
    Gerdas Mund klappte auf und blieb offen stehen. Wie konnte der Wagen, während der Fahrer …?
    Die Bremse, zuckte es ihr durch den Kopf, die muss sich irgendwie gelöst haben. Und im nächsten Augenblick ging ihr auf, wo der Wagen zum Stillstand kommen würde: mitten im Hühnerstall, der sich gleich hinter dem Gemüsebeet befand.
    Gerda schrie auf.
    Wie auf Kommando bremste der Lieferwagen, die Fahrertür öffnete sich, und ein kleiner Bursche hüpfte heraus.
    Gerda starrte ihn an.
    Wäre sie nicht so erschrocken gewesen, hätte sie gegrinst. Der Kerl sah so lustig aus. Auf einem dünnen Hälschen saß ein kugelrunder Kopf, aus dem aufgeweckte braune Äuglein blinkten. Für den soliden Körper schienen Gerda die Arme und Beine des Burschen ziemlich unterentwickelt. Er war keine fünf Zentimeter größer als sie selbst. Zu Gerhard fehlten ihm mindestens zwei Kopflängen.
    »Du schaust mir gelinde erschreckt«, sagte er.
    Gerda nickte.
    »Hast du gmeint, ich fahr mit dem Gerhard sein Auto auf und davon?«
    »Ich hab mir denkt«, korrigierte Gerda, »es is von selber gehend wordn.«
    Ulrich vermaß die Strecke, die der Lieferwagen genommen hätte, wäre er herrenlos weitergerollt, und feixte. »Dann hätt die Burgel eine Hendlbraterei aufmachen können – unbestritten.«
    Gerda musste lachen. »Bist du auch einer aus der Brauerei?«, fragte sie dann.
    Er schüttelte den Kopf. »Ich bin ein guter Freund vom Gerhard – Ulrich, wenn’s genehm is.«
    Gerda kicherte ihren Namen heraus.
    »Es liegt am Unterbau«, sagte Ulrich.
    Gerdas Blick flackerte zu ihren Hüften und weiter zu ihren Beinen.
    »Da muss was locker sein«, fügte Ulrich hinzu, ließ sich auf die Knie fallen und reckte den Hals unter den Lieferwagen.
    Erst nach einer ganzen Weile tauchte sein Kopf wieder auf und nickte bestätigend. »Stell dir vor, das Schaltgestänge wackelt wie ein Kuhschwanz.«
    »Bist du ein Automechaniker?«, fragte Gerda.
    Wieder schüttelte Ulrich den

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