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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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blitzschnell. Falls überhaupt jemand aus Annas Generation eine Familienähnlichkeit in Betracht zog, weil er vergessen hatte, dass Wolli ein Adoptivkind war, sah er sich eiligst aufgeklärt.
    »Hat doch die Ziefer …«, murmelte Anna nach der Rückkehr von der Tauffeier beim Begutachten der neuen Kollektion von Schmortöpfen, unterbrach sich jedoch schnell und klappte den Mund wieder zu. Gerda hatte vom Sortieren der Flaschenverschlüsse aufgesehen und allzu offensichtlich zugehorcht.
    »Ziefer« – dem Wort »Ungeziefer« entliehen – hatte nichts Gutes zu bedeuten. Es war ein übles Schimpfwort für leichtfertige Frauen (für die man den Ausdruck »Flittchen« als für zu geschmeichelt hielt), und ihre Mutter benutzte es eigentlich recht selten.
    Gerda beugte sich wieder über die bunten Verschlüsse und hoffte, dass die Mutter ihre Anwesenheit vergessen und Selbstgespräche führen würde, wie sie es manchmal tat. Denn irgendetwas war ans Licht gekommen. Gerda konnte geradezu sehen, wie die Mutter darauf herumbiss. Es schien dabei um Renate, das Kind und den unbekannten Vater zu gehen.
    So war es. Und Anna führte gründliche Selbstgespräche zu diesem Thema. Doch ab jetzt achtete sie darauf, dass Gerda kein Sterbenswörtchen davon mitbekam.
    Hat doch die Ziefer mit dem Böhmacken-Schlawiner umeinandergeranzt , sagte sie, ohne einen einzigen Ton zu produzieren. Möchst ja net für möglich halten. Und keiner von uns hat was gspannt.
    In Gedanken ließ Anna vergangene Familienfeiern Revue passieren. Nein, Renate und Wolli hatten weder verräterische Blicke getauscht, noch hatten sie unterm Tisch gefummelt. Anna hätte das bemerkt – ganz gewiss.
    Da ham sich die Richtigen zammtan, zwei ganz abgfeimte sind das , dachte sie ausnehmend missgestimmt.
    Wollis offensichtliche Vaterschaft machte nämlich eine von ihren Optionen hinsichtlich Gerdas Zukunft zunichte.
    Mit wachsendem Unmut hatte Anna beobachten müssen, dass sich Gerda und der für sie bestimmte Prinz, Gerhard Schwarz, im Lauf der Jahre kein bisschen nähergekommen waren.
    »Es is, als wär einer für den andern Luft«, hatte sie oft heimlich gestöhnt und wohl oder übel begonnen, ihre Ambitionen herunterzuschrauben.
    Wenn schon kein Prinz, dann aber wenigstens ein Ritter, hatte sie sich eines Tages gesagt und sofort damit angefangen, sich neu zu orientieren.
    Leider waren nach dem Aussortieren von gewöhnlichen Arbeitern, einfachen Handwerkern, Bauersleuten und unbedeutenden Angestellten nur drei Kandidaten übrig geblieben: der Sohn vom Sparkassenfilialleiter (schlecht beleumundet, weil regelmäßig besoffen), der Junge vom Apotheker (von allen belächelt, weil dünn wie ein Spitzwegerichstängel) – und Wolli.
    Wolli, hatte Anna widerwillig gedacht, war unbedingt in Betracht zu ziehen. Wenn auch kein Adonis, wirkte er in Uniform durchaus stattlich. Und – was wesentlich bedeutsamer war – Max, Wollis Adoptivvater, würde nicht nur dafür sorgen, dass Wolli seinen Weg machte, sondern auch etliche Immobilien und ein fettes Bankguthaben an ihn vererben.
    »Vielleicht wäre Gerda mit Wolli recht gut beraten«, hatte Anna einer Fotografie zugeflüstert, die Gerda als Sechsjährige zeigte.
    Und nun das.
    Weil ihre Mutter kein Wort mehr entschlüpfen ließ und auch die restliche Verwandtschaft das Thema Renate-Kind-Vater in den kommenden Wochen aus ihren Gesprächen aussparte, vergaß Gerda die ganze Angelegenheit. Bis Anna bei einer Familienzusammenkunft anlässlich der Einweihung einer neuen Scheune am Himmelberghof (die Wolli einfach verließ, bevor der Pfarrer den Segen gesprochen und Weihwasser an das Tor gesprengt hatte) plötzlich rief: »Ja darf sich das Böhmacken-Gschwerl denn alles herausnehmen?«
    Max verbat sich derartige Beleidigungen, erntete dafür jedoch vorwurfsvolle Blicke quer über den Tisch, die gleichzeitig eine eindeutige Aufforderung zum Ausdruck brachten.
    Da blieb ihm nichts anderes übrig, als Wolli endlich ins Gebet zu nehmen.
    Einige Zeit später erfuhr die Verwandtschaft, was dabei herausgekommen war.
    »Was das anbelangt«, hatte Wolli gesagt, »bin ich längst nicht der Einzige, mit dem sie’s in den Büschen trieben hat. Das Kind schaut mir gleich? Mag sein, aber es könnt grad so gut jedem andern Neuhausener gleichschaun.«
    Max erklärte seinen Verwandten, er sehe keinen Grund, Wollis Aussage anzuzweifeln, und riet Liesl, besser keinen Wirbel um die Vaterschaft zu machen.
    Liesl brach in Tränen aus. »Wie soll ich

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