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Der kleine Fluechtling

Der kleine Fluechtling

Titel: Der kleine Fluechtling Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Mehler
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die zwei denn durchbringen von dem Lohn, was mir die Anna zahlt?«
    Max sagte ihr Unterstützung zu.
    »Aber«, meinte er, »in spätestens drei Monat muss sich die Renate eine Arbeit suchen. Auf dem Hof is ja eh immer einer da, der ihr aufs Kind aufschaut.«
    So kam es, dass Renate ab dem Peter-und-Paul-Tag des Jahres 1960 an einem Packband in der Strumpffabrik von Heinrich Kunert stand – sechs Tage die Woche, acht Stunden pro Tag. Ihr Kind lag währenddessen in einem Körbchen in der Wohnstube am Himmelberghof.
    Im Herbst ersetzte Ella das Körbchen durch ein Ställchen. Am Weihnachtstag durfte Renates Tochter kreuz und quer durch die Stube krabbeln. Im kommenden Jahr, so um Christi Himmelfahrt herum, machte sie die ersten Schritte auf der Gred.

7
    »Hast so ein gutes Abschlusszeugnis ghabt«, sagte Liesl, »zwei Einser und sonst lauter Zweier. Überall tätst mit so einem Zeugnis eine Lehrstell kriegen.«
    Gerda nickte. Seit einem halben Jahr half sie nun ganztags im Laden ihrer Eltern, und ihr war klar, dass sich Liesl inzwischen große Sorgen um den eigenen Arbeitsplatz machte.
    Was, wenn die Mutter letztendlich entschied, dass Gerda im Haushaltswarengeschäft Langmoser am besten aufgehoben war, weil sie es ja ohnehin irgendwann einmal übernehmen würde? Dann stünde Liesl auf der Straße. Und Anna wäre die Letzte, die sich darüber grämen würde.
    Gerda wollte zwar Liesl keinesfalls um den Arbeitsplatz bringen, aber sie schreckte noch immer davor zurück, sich um eine Lehrstelle zu bewerben. Und ganz besonders schreckte sie davor zurück, womöglich eine in München antreten zu müssen.
    Doch Tante Tina ließ nicht locker. Seit Monaten bedrängte sie Gerdas Mutter. »Anna, schick mir das Mädel her. Ich kann der Gerda bei Siemens eine Lehrstell im Büro verschaffn, wohnen kann sie bei uns. Das Mädel muss weg von Neuhausen. Willst du sie versauern lassn in dem Kaff?«
    Anna schien unschlüssig.
    Tina insistierte wöchentlich. Sie hatte die Austragsbäuerin auf ihrer Seite, die allerdings mehr um Liesls Arbeitsplatz fürchtete als um Gerdas Gefühlsleben.
    »Nach München traust dich nicht, gell«, stellte Liesl jetzt fest. »Weil wenn dir da wirklich was dran liegen tät, dann hätt die Anna längst nachgeben müssen.«
    Gerda nickte wieder.
    »Die Burgel hat mir neulich erzählt«, fuhr Liesl fort, »dass beim Deggendorfer Arbeitsamt zwei Lehrstellen ausgschrieben sind.«
    Gerda horchte auf.
    »Zum einen«, erklärte Liesl, »suchens in der Nordsee-Halle ein Ladenmädchen für Fisch und Delikatessen, zum andern tät der Herrenausstatter Bekkler eine Verkäuferin für Beinbekleidung einstelln.«
    Plötzlich hielt sie sich die Hand vor den Mund und prustete. »Da wüsst ich aber jetz net, sollt ich dir die Fischschwänz antragn oder …«
    »In einem Modegschäft täts mir schon gfallen«, sagte Gerda.
    »Dann stell dich halt vor beim Bekkler«, drängte Liesl. »Steig aufs Radl, fahr auf Deggendorf runter und stell dich vor beim Bekkler.«
    Es hörte sich so einfach an, dass Gerda gar nicht anders konnte, als Liesls Rat zu befolgen.
    Tags darauf stand sie vor der Schaufensterfront des Herrenausstatters und fragte sich, ob sie nicht lieber wieder umkehren und nach Hause radeln sollte. Doch irgendwie zog es sie magisch hinein.
    Frau Bekkler erwies sich als freundlich und umgänglich, führte Gerda durch das Geschäft und erzählte ihr von den Aufgaben, die bei Bekkler auf sie warten würden. »Du kannst am Ersten bei uns anfangen.«
    Gerda schluckte. Damit hatte sie nicht gerechnet. Und was würde ihre Mutter dazu sagen?
    Anna Langmoser schien hin- und hergerissen. Das Modehaus Bekkler erfreute sich eines hervorragenden Rufes. Die Deggendorfer Hautevolee ging dort aus und ein, betuchte Männer noch und noch. Doch denen sollte ihre Gerda an den Schritt fassen? – Nein.
    Annas Konflikt löste sich auf, als sich herausstellte, dass ihre Tochter vorerst nicht am lebenden Objekt arbeiten würde. Wie eine Hose zu sitzen hatte, sollte Gerda an den Schaufensterpuppen lernen, die sie täglich neu einkleiden musste.
    »Kind, du hast Geschick und auch Geschmack«, sagte Frau Bekkler bereits nach der ersten Arbeitswoche zu ihrem neuen Lehrmädchen, wobei der kreisrunde Schönheitspunkt auf ihrem linken Wangenknochen im Sog der hochgezogenen Augenbraue ein gutes Stück höher wanderte. Und sie nahm sich ein halbes Stündchen Zeit, Gerda persönlich zu unterweisen.
    »Wir«, erklärte sie mit Nachdruck, »führen in

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