Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)
Wächtertrommeln spielten nun wieder mit, und das Hochplateau war erfüllt von den Klängen eines ungeheuer dynamischen, spontanen Konzertes. Mal spielte das sonderbare Ensemble leiser, dann wieder lauter. Man verstand sich rein musikalisch, ohne Worte.
Der Bergkönig war ein perfekter Trommler. Gekonnt nutzte er im gemeinsamen Spiel jede dynamische Nuance, um seine rhythmische Architektur zum Flirren und Schillern zu bringen.
Er war sichtlich beeindruckt von den Fähigkeiten der ungebetenen Gäste. Besonders dieser Flügel schien ein echter Könner zu sein. Da, jetzt wagte er sogar ein paar rhythmische Spielereien! Interessant. Sehr interessant. Der König beschloss, den Flügel und seine Begleiter auf die Probe zu stellen. Wieweit würden sie in der Lage sein, einer wirklich massiven Tempoänderung zu folgen? Er wusste: Einem sich fließend verändernden Tempo zu folgen, gehörte zu den größten Herausforderungen in der Welt der Rhythmik. Er setzte zu einem lang anhaltenden Accelerando an, ein Zeichen, dass eine Beschleunigung bevorstand, und forcierte dann das Tempo. Souverän folgten ihm Flügel, Bass, Gitarre und Moog und fielen auch nicht ab, als der Bergkönig das Tempo schließlich extrem erhöhte.
Am Ende war der Flügel sogar noch in der Lage, mit virtuosen Ornamenten aus wieselflinken Sechzehntelläufen zu brillieren. Der Bergkönig besiegelte ihre gemeinsame Leistung schließlich mit anerkennenden Abschlägen, die so gewaltig und laut waren, dass sie noch weit über das Plateau hinaus zu hören waren.
Das Konzert war zu Ende. Die Berge warfen das Echo der Schlussakkorde und -schläge noch eine Weile zurück. Dann war Stille.
Der Bergkönig stand einfach nur da, als dächte er angestrengt über etwas nach. Dann beugte er sich langsam zu den fünf Wanderern hinunter und brummte mit tiefer Stimme: «Wartet hier.»
Er drehte sich um, stapfte in die Halle hinein, und das große Tor schloss sich wieder. Die beiden Trommeln nahmen erneut Habachtstellung ein.
«Was hat das jetzt zu bedeuten?», fragte Strato.
«Keine Ahnung», sagte der Flügel. «Wie sagte der gute Bernhard Ogermann immer: Abwarten und Tee trinken.»
Die Freunde warteten.
«Sag mal, Flügel», frage Moog in die Stille hinein. «Wie hast du das mit der Rhythmusänderung eigentlich eben so gut hinbekommen?»
«Willst du das wirklich genau wissen?», fragte der Flügel.
Moog nickte.
«Also, ich habe das gesetzte Metrum mit einigen gewagten kreuz- und polyrhythmischen Sequenzen sowie heftigen Fortissimoschlägen, die dann wieder in ein zartes Piano übergingen, angegriffen, somit einen rhythmischen Konflikt erzeugt, der sich nach einiger Zeit zugunsten einer komplizierten Hemiole wieder auflöste, vom Bergkönig aber als pfiffige Herausforderung angenommen und dann von ihm weiterentwickelt wurde.»
Fendi brummte amüsiert, Strato lachte, und Tri giggelte. Moog sah seinen Freund ratlos an, fiepte dann aber: «Ach so, und ich dachte schon, es sei etwas Kompliziertes gewesen.»
Alle kicherten, als sich plötzlich das Tor zur Halle wieder öffnete.
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In der Halle des Bergkönigs
E ine reich mit Perlmutt geschmückte Trommel stand vor den fünf Gefährten und sagte mit feierlicher Stimme: «Der Trommler aller Trommler, der ruhmreiche Rhythmiker, der Herrscher über alle Schlaginstrumente, Seine taktvolle Durchlaucht, der Bergkönig lässt bitten!»
Dann trat die Trommel zur Seite, und die Freunde konnten nun in die festlich dekorierte, gigantische Halle hineinsehen. In deren Mitte, umringt von seinen vielen schlagfertigen Untertanen, saß der Bergkönig auf einem großen Thron und winkte ihnen einladend zu. Die Instrumente rollten und schwebten hinein und versammelten sich etwas eingeschüchtert zu Füßen des Herrschers. Der war wirklich eine sehr ehrfurchtgebietende Gestalt.
Aber er beugte sich freundlich lächelnd zu ihnen hinab und sagte mit tiefer Stimme: «Willkommen in meinem Reich. Ich bin – bei meinen Trommelfellen – beeindruckt von euch. Ihr habt die Ebene durchquert, das tonlose Tal überlebt, klopft dann hier an und spielt so selbstbewusst und locker mein Lied, dass es eine reine Freude ist. Selten hatte ich so viel Spaß mit Melodieinstrumenten. Und vor allem du, kleiner Flügel, du hast den Rhythmus im Blut. Wir müssen unbedingt noch einmal zusammen musizieren. Aber ich wäre ein schlechter Gastgeber, wenn ich euch zuerst nicht ein wenig Ruhe und Pflege gönnen würde. Man sieht euch –
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