Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)
Stimme hinter ihnen: «Da seid ihr ja. Ein Glück, dass ihr es geschafft habt.»
Es war eine der Trommeln, die mit ihren Kollegen hinter dem Findling hervortrat.
«Vielen Dank, dass ihr uns im Stich gelassen habt», sagte der Flügel ungehalten.
«Davon kann keine Rede sein», antwortete die Trommel kühl. «Wir haben nicht gemerkt, dass ihr zurückgeblieben seid. Tut uns leid, aber im Tunnel gibt es nur ein Gesetz: marschieren, immer weiter im richtigen Rhythmus marschieren. Und das haben wir getan. Aber jetzt seid ihr ja anscheinend wohlbehalten hier. Der Bergkönig wird zufrieden sein. Wir empfehlen uns.»
Und ehe der Flügel noch etwas sagen konnte, marschierten die Trommeln nacheinander wieder in den Tunnel hinein. Kurz darauf hörte man ihren stampfenden Rhythmus, der immer leiser wurde. Ihre Eskorte hatte sich auf den Rückweg gemacht, und die Freunde standen allein in der Ebene und fragten sich, was nun zu tun war.
«Ich denke», sagte Fendi, «dass wir uns erst einmal in unser Lager schleichen, dort verschnaufen und Pläne machen.»
«Verdammt coole Idee, Kumpel», antwortete Strato.
Der Flügel, Moog und Tri stimmten zu, und die Instrumente machten sich vorsichtig im Licht des Notenmondes auf den Weg ins vertraute Lager.
[zur Inhaltsübersicht]
Zurück im Lager
O hne Zwischenfälle erreichten die Freunde das Lager abseits des Turmes. Als Erstes trafen sie auf Harp und den Sampler, die sich gerade darüber stritten, ob Bob Dylan oder Depeche Mode das Größte seien, was die musikalische Welt je hervorgebracht habe. Die beiden beschimpften sich mit großer Wonne wechselseitig als «ahnungslos», «ignorant» oder «hoffnungslos nostalgisch», als der Flügel und seine Freunde aus dem Halbdunkel der Ebene auftauchten.
Harp erstarrte. «Das gibt’s doch nicht», sagte er. «Ihr? Gesund und munter? Wow, unglaublich! Das’n Ding, ey.»
Der Sampler fuhr herum, starrte die Gefährten an, piepte, blinkte und sang dann zu einem stampfenden Beat «You’ve Got The Power!».
Die Heimgekehrten lachten.
«So», sagte Harp, «ich hol schnell die anderen, und dann erzählt ihr haarklein, was ihr erlebt habt, ja? Aber in allen Details. Ich will alles wissen. Alles! Wir treffen uns vor dem großen Felsen.»
Dann flog die Mundharmonika los, und wenig später saßen die fünf Reisenden mit all ihren alten Gefährten aus dem Lager zusammen und erzählten von der gefahrvollen Reise zum Bergkönig und zurück.
«Mensch, wenn ich das alles so höre», bemerkte Moog zwischendurch, «dann krieg ich jetzt noch ’ne Gänsehaut. Mann, waren wir tapfer und so.»
«Voll die Helden», bestätigte Harp.
Und wie auf Kommando begannen der Sampler und seine beiden Kumpels DX7 und Prophet 5 den Song «Heroes» zu spielen, selbstverständlich in einer Hiphop-Version, angereichert mit zahllosen musikalischen Zitaten aus der modernen Musikgeschichte und erzählerischen Fetzen aus dem soeben gehörten Abenteuer, das die Sampler mit ihren Aufnahmemodulen natürlich sofort mitgeschnitten hatten. Dieser Song ging später in die Geschichte der magischen Musikwelt als «Heroes-Bergkönig-Sirenen-Dub-Mix Volume One» ein.
Der Flügel fühlte sich nach langer Zeit das erste Mal wieder etwas entspannt – aber nur etwas, denn er wusste, dass ihnen die größte Aufgabe noch bevorstand: die Befreiung der Lyra und der Kampf gegen Theodora, die Erhabene. Wie sollten sie das nur anstellen?
Er rollte ein kleines Stück aus dem Schutz des Felsen heraus und sah kurz zum Turm hinüber. Was dort wohl vor sich ging?
Zur gleichen Zeit blickte eine Gestalt vom Turm aus in Richtung des Zeltlagers.
Es war die Celesta, die – wie so häufig – nachts nicht schlafen konnte und aus einem der großen Fenster starrte. Sie hatte schon vor Stunden die Ankunft der Gefährten in der Ebene beobachtet, hatte gesehen, wie sie aus dem Tunnel gekrochen waren und sich mit den Trommeln unterhalten hatten. Sie wusste, dass sie diesen Vorgang sofort der Orgel oder der Guarneri hätte melden müssen. Allein: Sie tat es nicht. Denn als sie den Flügel in der Dunkelheit erkannte, hatte ihr Herz einen Sprung gemacht. Dieser Flügel – er lebte! Die Celesta spürte: Er bedeutete ihr mehr, als sie sich hatte eingestehen wollen. Also rührte sie sich nicht, sondern beobachtete einfach nur weiter, was geschah.
Sie sah, wie sich die Freunde in Richtung dieses sonderbaren Lagers aufmachten und dann darin verschwanden. Noch lange stand die Celesta am Fenster und
Weitere Kostenlose Bücher