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Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)

Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)

Titel: Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kester Schlenz , Joja Wendt
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dunkle Nebengänge erkennen. Vorsichtig setzten die Instrumente ihren Weg fort.
    «Was ist das?», fragte Tri plötzlich. Und dann sahen es auch die anderen.
    Vor ihnen, mitten in der Luft, schwebten Worte. Worte, die sich aus farbigen Nebelschwaden bildeten, auseinanderstoben und sich wieder zusammensetzten.
    «Das sind Namen», flüsterte Moog.
    Ja, kein Zweifel. Irgendeine Macht schrieb hier im dunklen Tunnel in einer Art Nebelschrift Namen in die Luft. Sie lauteten Aglaphonos, Himeropa, Leukosia, Ligeia, Parthenope, Peisinoe und Thelixope.
    Der Flügel dachte angestrengt nach. Irgendwie kamen ihm diese Namen bekannt vor – doch er wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen, denn aus den Nebengängen des Tunnel ertönte, erst leise, dann langsam anschwellend, ein wunderschöner, unwiderstehlicher Gesang.
    «Ist das schön», stöhnte Strato und schwebte verzückt auf einen der Eingänge zu.
    Und auch die anderen Instrumente bewegten sich wie in Trance auf einen der Eingänge zu – so schön und lockend erklang der Gesang von weiblichen Stimmen.
    Und auf einmal wusste der Flügel wieder, woher er die schwebenden Namen kannte. Bernhard Ogermann hatte seiner Frau immer wieder viel über griechische Sagen erzählt. Und einmal hatte er auch diese Namen genannt: Es waren die Namen der gefährlichen Sirenen. Diese Fabelwesen lockten mit ihrem betörenden und betäubenden Gesang Seefahrer an, um sie dann zu töten. Sie sangen wie die Engel, aber sie waren Teufel.
    «Spielt», schrie der Flügel seinen Freunden zu. «Spielt, so laut ihr könnt! Dieser Gesang ist eine Falle!» Und um seine Gefährten aus ihrer Trance zu reißen, begann er selbst, so laut und wild zu musizieren, wie es irgend ging.
    Die beinahe willenlosen Instrumente wurden schlagartig wach und sahen sich verwirrt um.
    «Sie wollen euch anlocken und dann umbringen!», schrie der Flügel mitten in seine wildlauten Improvisationen hinein. Und dann begriffen die anderen. Zwar war der nun auch lauter werdende Gesang der Sirenen immer noch unwiderstehlich, doch die Worte des Flügels und seine Musik hatten sie aufgerüttelt – sie erkannten, dass sie dem Gesang nicht folgen durften.
    Und so begannen Strato und Fendi sofort mit einer Interpretation von «Roll Over Beethoven», einem deftigen Rock-’n’-Roll-Stück. Moog quiekte, so schrill er konnte, und Tri hämmerte wie von Sinnen auf sich selbst ein, um den Gesang der Sirenen zu übertönen, der sie immer noch magisch anzog.
    «Geht weiter, einfach weiter», rief der Flügel und rollte los. «Und macht so viel Lärm, wie ihr könnt.»
    Die anderen folgten ihm wie ein verrückt gewordener Spielmannszug. Der Gesang der Sirenen wurde schriller und lauter. Jetzt konnte man sie auch aus den Eingängen herausragen sehen. Grauenerregende, langhaarige Gestalten mit weit aufgerissenen, zahnbewehrten Mündern, die wie Muränen nach vorne schnellten und nach den Gefährten schnappten. Doch die Sirenen konnten offenbar nicht aus den Eingängen heraus, und die Gefährten flohen, einen Höllenlärm verursachend, so schnell sie konnten. Schließlich wurde das Sirenengeheul leiser und verstummte dann ganz, und auch die Instrumente hörten auf zu spielen und verschnauften erst einmal.
    «Das war die beste Session, die ich je gemacht habe», sagte Strato. «Rau, aber herzlich.»
    «Die Mädels sahen echt fies aus», ergänzte Fendi. «Kaum zu glauben, dass diese Schabracken so schön singen können.»
    «Und ich wusste gar nicht, dass du so schrill quieken kannst, Moog», staunte Tri.
    Die anderen lachten, und nach einigen Minuten setzten die Freunde ihren Weg durch den Tunnel fort.
    Stundenlang geschah nichts.
    Dann stieg der Weg etwas an; die Gefährten erkannten weiter vorn ein diffuses Leuchten und standen schließlich vor einem massiven Tor aus Stein, das fest verschlossen war. Mitten auf dem Tor prangte ein Bild von Theodora, der Erhabenen; darunter war ein seltsames Schloss angebracht, das aussah wie eine Trommel. Dies musste der geheime Weg in den Turm hinein sein – aber es war kein Durchkommen. Das Tor schien aus meterdickem Stein zu sein.
    Links abzweigend ging der Tunnel aber ein Stück weiter, stieg noch einmal an und endete dann wie ein gigantisches Mauseloch neben einem großen Findling in der Ebene. Die Instrumente stiegen heraus, blickten sich um und erschauerten, als sie unweit den Turm aufragen sahen. Es war zum Glück dunkel, und der Notenmond leuchtete nur schwach. Dann ertönte auf einmal eine

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