Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)
da. Er tut alles, was man ihm sagt. Er ist nicht wie du.»
Die Celesta schwieg.
«Warum tust du das für uns?», fragte der Flügel und rollte langsam an die Celesta heran.
«Weil ich … weil du … weil du mich ins Zweifeln gebracht hast. Dein Mut, dein Widerstand. Als du improvisiert hast und Theodora dich aus dem Turm blies, da war es, als ob ich aufwachen würde. Aufwachen aus einem bösen Traum. Aber ich sah keine Möglichkeit, irgendetwas zu tun. Doch jetzt, jetzt kann ich etwas tun.»
«Aber du bringst dich in große Gefahr», sagte der Flügel und rollte hinaus aus seinem Gefängnis und dicht an die Celesta heran. Als die beiden Instrumente sich berührten, erklang ein sonderbarer heller Ton, der aus beiden Klangkörpern zugleich zu kommen schien.
«Das ist mir egal», sagte die Celesta schließlich mit brüchiger Stimme. «Außerdem werde ich gleich wieder zurück nach oben zu den anderen gehen. Theodora bereitet das große Konzert vor. Offenen Widerstand wage ich nicht, dazu habe ich viel zu viel Angst vor der Orgel. Komm, wir befreien deine Freunde, und dann bin ich weg.»
Eilig rollten die beiden zu dem Verlies, in dem die Gefährten des Flügels gefangen waren, schoben den Verschlussriegel weg und öffneten die Tür.
Die Gefährten standen dicht aneinandergedrängt und blickten ihnen ängstlich entgegen.
«Rührt meine Freunde nicht an, oder ich mach euch fertig», rief Tri todesmutig und schwebte vor die anderen.
«Du bist ein großer Kämpfer, Tri», sagte der Flügel und rollte seinen Freunden lachend entgegen.
Es gab ein großes Hallo, und alle beeilten sich, aus dem Verlies hinauszukommen. Schließlich standen sie stumm vor Dankbarkeit vor der Celesta.
«Danke», sagte Moog schließlich. «Ich weiß nicht, wer du bist, ich weiß nur, dass du aussiehst wie ein Klavier nach einer Hungerkur, aber du scheinst sehr tapfer zu sein.»
«Das kann man wohl sagen», sagte der Flügel. «Es gehört eine Menge dazu, sich Theodora zu widersetzen; ich weiß, wovon ich rede.»
Alle Gefährten bedankten sich nun überschwänglich bei der Celesta, und Strato erklärte das filigrane Instrument zum Ehrenmitglied der Band, die er eines Tages gründen wollte.
«Was ist eine Band?», fragte die Celesta verwirrt.
«Für so etwas haben wir jetzt keine Zeit», warf der Flügel ein. «Liebe Celesta, du musst uns den Weg zur Halle der Intervalle zeigen. Dort müssen wir hin.»
«Nein», sagte die Celesta leise. «Ich muss jetzt wieder nach oben. Die Halle ist tabu. Sie ist der Tempel der Generäle. Ein magischer Ort, der von der Guarneri beherrscht wird. Niemand darf ohne ihre Erlaubnis dort hinein.»
«Celesta», bat der Flügel. «Jetzt hast du uns schon einmal geholfen und warst so tapfer. Wir wollen etwas gegen Theodora tun. Es gibt eine Chance. Aber dafür musst du uns den Weg in diese Halle zeigen. Bitte.»
Die Celesta schwieg. Man konnte ihren inneren Kampf sehen – die Angst, aber auch die Versuchung, sich endlich vom Joch der Orgel zu befreien.
«Kommt mit», sagte sie schließlich mit fester Stimme. «Was man angefangen hat, soll man zu Ende bringen.»
Und dann rollte sie den langen Gang entlang, nahm eine von vielen Abzweigungen, öffnete geheime Türen und erklomm vorsichtig verborgene Treppen, immer dicht gefolgt von dem Flügel und seinen Gefährten.
Schließlich stand sie vor einer großen, schweren Tür, auf der in geschwungenen Lettern die Worte «Primen und Oktaven/Sekunden und Septimen/Terzen und Sexten/Quarten und Quinten» standen.
«Hier ist es», flüsterte die Celesta und drückte einen kaum sichtbaren Knopf in der Wand.
Langsam und knarrend öffnete sich die Tür.
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Die Halle der Intervalle
D ie Freunde betraten eine sonderbar aussehende, gigantisch anmutende Halle. Das Licht war gedämpft, und ihre Schritte hallten laut in dem gewaltigen Raum. Es war schwer zu schätzen, welche Ausmaße er hatte. Deutlich sichtbar war aber, dass er nicht vier, sondern viel mehr Wände hatte.
«Mann, ist das riesig!», entfuhr es Moog.
«Das ist die Halle der Intervalle», flüsterte die Celesta. «Sie ist die Versammlungsstätte der Aufseher. Und die Guarneri führt das Kommando. Hier treffen sie sich, um zu beraten oder über die anderen Instrumente nach Theodoras Anweisungen zu richten. Soweit ich weiß, ist hier auch die Entscheidung gefallen, den elektrischen Instrumenten niemals Zugang zum Turm zu gewähren.»
«Wenn ich mich hier so umschaue, bin ich ganz
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