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Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)

Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition)

Titel: Der kleine Flügel: Eine phantastische Geschichte mit Musik (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kester Schlenz , Joja Wendt
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Ausfallbewegung nach links aus der Schussrichtung zu springen, bevor er vom Feuer erfasst wurde. Er hörte auf zu spielen. Die Töne der Guarneri hatten nun keinen Widerstand mehr, trafen mit voller Wucht ungebremst auf die hintere Wand und lösten dort drei Quader aus der Mauer, die donnernd auf den Boden krachten. Staub wirbelte auf, und der Flügel konnte nicht erkennen, ob einer seiner Freunde verletzt worden war. Die Guarneri hatte kurz aufgehört zu spielen, setze dann aber wieder neu an. Da besann sich der Flügel auf eine besondere Technik, die ihm im Gedächtnis geblieben war: Er legte die harmonische Struktur des Stückes zu Grunde, um dessen Akkorde in Sechzehntelphrasen aufzubrechen, und schlug sie an. Und wie ein Schutzschild verbanden sich die perlenden Akkordtöne zu einem Netz, das ihn und seine Gefährten abschirmen sollte. Und tatsächlich: Es funktionierte. Grünlich schimmerte der Schild zwischen ihm und seiner Widersacherin. Die Töne der Guarneri prallten davon ab und stoben wirkungslos in alle Richtungen davon. Die Geige schnaubte vor Wut. Für einen Moment unterbrach sie ihr Spiel. Dann wirbelte sie wütend herum.
    «Nimm dies!», rief sie voller Zorn. Sie machte eine jähe, peitschende Bewegung mit dem Bogen, setzte an und strich ihre höchste Saite, die Chanterelle, mit der größtmöglichen Intensität an. Der von ihrer Saite ausgehende Ton stand eine Weile in der Luft. Um die Spannung zu erhöhen, hielt die Guarneri das hohe D unerträglich lange, sodass die extrem schnell schwingende Saite hochfrequentes, glutrotes Licht zu einem langen Strahl verschmelzen ließ. Sie hielt ihn noch einen Moment fest, dann ließ sie ihn frei. Und wie ein zerstörerischer roter Laserstrahl durchschnitt der Energiestrahl den vom Flügel erzeugten Schutzschild. Mit weiteren Hieben schnitt die Guarneri die Abwehr des Flügels kurz und klein. Der Flügel war benommen und stoppte sein Spiel. Wehrlos stand er jetzt mit dem Rücken zur Wand und war den Angriffen der Guarneri hilflos ausgeliefert. Die Geige hielt kurz inne und setzte dann siegesgewiss wieder an. Mit fünf nacheinander ausgestoßenen Repetitionen stach sie wie mit einer stählernen Lanze auf den wehrlosen Flügel ein. Schon waren die Noten in der Luft. Der sechste Energiestoß bestand nur aus einem einzelnen hohen Ton, aber genau dieser hatte es besonders in sich, weil die Guarneri ihn beim Auftreffen eine Oktave abfallen ließ.
    Der Flügel spürte einen gewaltigen Aufprall. Kleine Lichter flammten vor seinen Augen auf. Holz splitterte. Er war so benommen, dass er sich nicht rühren konnte. Das musste das Ende sein. Ein siegesgewisses Lachen der Guarneri drang zu ihm hinüber.
    «Du hast es so gewollt, Flügel», zischte sie und betrachtete ihren Gegner aus der Entfernung mit einem seltsam freudlosen Lächeln. «Und das war noch nicht alles!»
    Die Guarneri hob ihren Bogen.
    «Wehr dich!», hörte er da die Stimme der Celesta. «Wehr dich! Du kannst es.»

    Eine seltsame Wärme durchströmte nach diesen Worten seinen geschundenen Körper. Seine Hämmer wurden durch eine unsichtbare Macht wieder zum Leben erweckt. Im Augenwinkel nahm er die Celesta wahr, die zu ihm gerollt war. Der Schlägel am Boden glomm in blauem Feuer und sandte Strahlen in seinen Korpus.
    Die Guarneri schien dies nicht zu bemerken, denn sie lachte und rief: «Ja, Celesta, stell dich gleich neben deinen neuen Freund und geh mit ihm unter. Jetzt mache ich Schluss mit euch!»
    Dann setzte sie unmittelbar zu einem komplizierten alterierten Lauf an, den sie ungeheuer laut und kräftig spielte. Und wie ein rötlicher Flammenschweif sauste dieser Lauf in rasender Geschwindigkeit auf den Flügel und die Celesta zu. Doch der Flügel verspürte keine Angst. Die Nähe der Celesta und das Licht des Schlägels ließen ihn eine sonderbare Ruhe spüren.
    Und er wehrte sich!
    Er setzte unvermittelt zu einer schwierigen rhythmischen Figur an, einer Dreier-Akzentgruppe. Diese war zusammengenommen 5/4 Takte lang, also begann sie bei jeder Wiederholung auf einer anderen Zählzeit des Taktes. Es war eine komplexe Übung, die er aus seiner Jugend kannte. Er wusste nicht, wie sie ihm gelang, aber er spielte mit einer Leichtigkeit, wie er sie nur selten bewerkstelligen konnte. Immer kräftiger wurden die Tongruppen und rasten nun als geballte Energieladung auf den rötlichen Flammenschweif der Guarneri zu.
    Dann trafen sich die Notengeschosse der Kontrahenten in der Mitte des Raumes!
    Ihre magische

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