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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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gutes Stück abseits der Straße, aber der Geruch war trotzdem ein todsicherer Hinweis; so manches Labor (sagte Farish) war durch naseweise Nachbarn aufgeflogen, oder weil der Wind in die falsche Richtung geweht hatte, geradewegs ins Fenster eines vorbeifahrenden Polizeiwagens.
    Der Regen hatte aufgehört; die Sonne schien durch die Gardinen. Danny kniff die Augen zu, drehte sich unter lautem Kreischen der Sprungfedern um und vergrub das Gesicht im Kopfkissen. Sein Wohnwagen, einer von zweien hinter dem großen, in dem seine Großmutter wohnte, war fünfzig Schritt von dem Labor entfernt, aber der Gestank von Methamphetamin und Hitze und Taxidermie drang bis hierher, und Danny hatte ihn so satt, dass er sich am liebsten übergeben hätte. Teils Katzenpisse, teils Formaldehyd, teils Verwesung und Tod, hatte er fast alles durchdrungen: Kleidung und Möbel, Wasser und Luft, das Plastikgeschirr seiner Großmutter. Sein Bruder roch so stark danach, dass man es kaum aushalten konnte, näher als auf zwei Schritte an ihn heranzukommen, und ein- oder zweimal hatte Danny zu seinem Entsetzen einen Hauch davon in seinem eigenen Schweiß gewittert.
    Starr lag er da, mit klopfendem Herzen. In den letzten paar Wochen war er praktisch nonstop auf Hochtouren gewesen, ohne Schlaf, nur hin und wieder kurz weggetreten. Blauer Himmel, schnelle Musik im Radio, lange, rasende Nächte, die immer weiter flogen, auf irgendeinen imaginären Fluchtpunkt zu, und er mitten hindurch, das Gaspedal fest durchgetreten, eine nach der andern, dunkel und hell und wieder dunkel, als jage er auf einem langen, ebenen Highway durch Sommerregenschauer. Es ging nicht darum, irgendwo hinzufahren, sondern nur darum, schnell zu fahren. Manche Leute (nicht Danny) fuhren so schnell und weit und wild, dass irgendwann ein schwarzer Morgen mit Zähneknirschen und Vogelgezwitscher
vor Sonnenaufgang zu viel kam – und schnipp: bye-bye. Unwiederbringlich zerfetzt, mit wilden Augen, fuchtelnd und zuckend: fest davon überzeugt, dass Maden ihr Knochenmark fraßen, dass ihre Freundinnen sie betrogen und dass die Regierung sie durch den Fernseher beobachtete und die Hunde Morsebotschaften kläfften. Danny hatte einmal gesehen, wie ein ausgemergelter Freak (K. C. Rockingham, mittlerweile verstorben) mit einer Nähnadel auf sich eingestochen hatte, bis seine Arme aussahen, als hätte er sie bis an die Ellenbogen in eine Fritteuse getaucht. Winzige Hakenwürmer bohrten sich in seine Haut, behauptete er. Zwei endlose Wochen lang hatte er in einem Zustand, der dem Triumphieren nah war, vierundzwanzig Stunden täglich vor dem Fernseher gesessen, sich das Fleisch von den Unterarmen gekratzt und das imaginäre Ungeziefer angeschrien: »Erwischt!« und »Ha!« Farish war ein-oder zweimal nah an dieser Frequenz des Kreischens gewesen (einmal war es besonders schlimm gewesen, als er einen Schürhaken geschwungen und irgendetwas über John F. Kennedy geschrien hatte), aber so weit würde es mit Danny nie kommen.
    Nein: Ihm fehlte nichts, ihm ging’s prima, er schwitzte bloß wie ein Tiger, ihm war zu heiß, und er war ein bisschen angespannt. Ein Tick ließ sein Augenlid flattern. Geräusche, selbst winzige Geräusche, zerrten allmählich an seinen Nerven, aber was ihn am meisten fertig machte, war der Alptraum, den er jetzt seit einer Woche immer wieder hatte, immer derselbe. Er schien über ihm zu schweben und nur darauf zu warten, dass er eindöste; kaum lag er auf dem Bett und glitt in einen unbehaglichen Schlaf hinüber, stürzte der Alptraum sich auf ihn und packte ihn bei den Füßen und zerrte ihn mit Übelkeit erregender Geschwindigkeit hinab.
    Er drehte sich wieder auf den Rücken und starrte hinauf zu dem Badeanzug-Poster, das mit Klebstreifen an der Decke befestigt war. Wie ein unangenehmer Kater lasteten die Schwaden des Alptraums immer noch auf ihm, tief und giftig. So schrecklich der Traum war, er konnte sich doch nie genau an Einzelheiten erinnern, wenn er aufwachte, weder an Leute noch an Situationen (obwohl immer mindestens eine andere
Person dabei war), sondern nur an die Fassungslosigkeit, mit der er in blinde, atemlose Leere gesaugt wurde: Sträuben, dunkle Flügelschläge, Grauen. Es würde sich gar nicht so schlimm anhören, wenn man davon erzählte, aber wenn er je einen schlimmeren Traum gehabt hatte, konnte er sich daran nicht erinnern.
    Schwarze Fliegen wimmelten auf dem halb verzehrten Doughnut – seinem Lunch –, das auf dem Klapptisch neben seinem

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