Der kleine Freund: Roman (German Edition)
Bett lag. Summend erhoben sie sich, als Danny aufstand, und schwirrten ein paar Augenblicke lang wie verrückt durcheinander, bevor sie sich wieder auf das Doughnut senkten.
Jetzt, da seine Brüder Mike und Ricky Lee im Gefängnis waren, hatte Danny den Wohnwagen für sich. Aber er war alt, und die Decke war niedrig, und obwohl Danny ihn peinlich sauber hielt – die Fenster geputzt, niemals schmutziges Geschirr –, war er schäbig und eng. Hin und her drehte sich der brummende Ventilator und ließ im Vorüberstreichen die dünnen Gardinen hochwehen. Aus der Brusttasche seines Jeanshemdes, das auf dem Stuhl lag, nahm er ein Schnupftabaksdöschen, in dem aber kein Schnupftabak war, sondern pulverisiertes Methamphetamin.
Er nahm eine ordentliche Nase vom Handrücken. Das Brennen tat so gut, traf seine hintere Kehle so genau, dass seine Augen sich trübten. Beinahe sofort verzog sich der giftige Dunst: Die Farben waren klarer, die Nerven stärker, das Leben wieder gar nicht so übel. Rasch und mit zitternden Händen schüttete er sich noch eine Prise auf den Handrücken, ehe der Kickstart der ersten komplett durchgezogen war.
Ah ja: eine Woche auf dem Land. Funkelnde Regenbogen. Plötzlich fühlte er sich munter, ausgeruht, als Herr der Lage. Danny machte sein Bett, straff wie ein Trommelfell, leerte den Aschenbecher und wusch ihn in der Spüle aus, warf die Coke-Dose und den halben Doughnut weg. Auf dem Klapptisch lag ein halb fertiges Puzzle (eine fahle Naturszene, Winterbäume, Wasserfall), das ihn so manche Speednacht hindurch unterhalten hatte. Sollte er ein bisschen daran arbeiten? Ja: das Puzzle. Aber
dann nahm das Problem der Elektrokabel seine Aufmerksamkeit gefangen. Elektrokabel lagen verheddert um den Ventilator, sie kletterten die Wände hinauf, zogen sich überall durch den Raum. Uhrenradio, Fernseher, Toaster, der ganze Kram. Er wedelte eine Fliege vor seinem Gesicht weg. Vielleicht sollte er sich um die Kabel kümmern, ein bisschen System hineinbringen. Vom Fernseher bei seiner Großmutter drüben schnitt sich die Stimme eines Ansagers der World Wrestling Federation durch den Nebel, klar und deutlich: »Doctor Death plllatzt jetzt der Kragen...«
»Nerv mich nicht«, schrie Danny unversehens, und ehe ihm klar war, was er tat, hatte er zwei Fliegen totgeschlagen und betrachtete die schmierigen Spuren an der Krempe seines Cowboyhutes. Er konnte sich nicht daran erinnern, den Hut aufgehoben zu haben, nicht einmal daran, dass er im Raum gewesen war.
»Wo kommst du denn her?«, fragte er den Hut. Komisch. Die Fliegen waren jetzt aufgebracht und sausten um seinen Kopf herum, aber im Augenblick war es der Hut, der Danny interessierte. Wieso war er drinnen? Er hatte ihn im Wagen gelassen; da war er sicher. Er warf ihn auf das Bett – plötzlich wollte er nicht mehr, dass das Ding ihn berührte –, und etwas an der Art, wie er ganz allein ein bisschen schief auf dem sorgfältig gemachten Bett lag, ließ ihm die Haare zu Berge stehen.
Scheiß drauf, dachte Danny. Er dehnte seine Nackenwirbel, zog die Jeans an und ging hinaus. Sein Bruder Farish lag in einem Aluminiumliegestuhl vor dem Trailer ihrer Großmutter und machte sich mit einem Taschenmesser die Fingernägel sauber. Um ihn herum verteilt lagen diverse fallen gelassene Ablenkungsutensilien: ein Schraubenzieher und ein teilweise zerlegtes Transistorradio, ein Taschenbuch mit einem Hakenkreuz auf dem Cover. Auf der Erde zwischen alledem saß ihr jüngster Bruder, Curtis, die Stummelbeine V-förmig vor sich ausgestreckt; er schmiegte ein schmutziges, nasses Kätzchen an die Wange und summte vor sich hin. Als Dannys Mutter Curtis bekommen hatte, war sie sechsundvierzig und eine üble Trinkerin gewesen, aber obwohl ihr Vater (selbst ein Trinker, ebenfalls
verstorben) diese Geburt lautstark beklagt hatte, war Curtis ein goldiges Geschöpf; er liebte Kuchen, Mundharmonikamusik und Weihnachten, und abgesehen davon, dass er täppisch und langsam war, hatte er nur den einen Fehler, dass er leicht taub war und den Fernseher gern ein bisschen zu laut stellte.
Farish nickte Danny mit zusammengebissenen Zähnen zu, ohne aufzublicken. Er stand selbst ziemlich unter Strom. Der Reißverschluss seines braunen Overalls (einer United-Parcel-Uniform mit einem Loch an der Brust, wo das Etikett herausgeschnitten war) stand fast bis zur Taille offen, sodass man die dichte schwarze Brustbehaarung sehen konnte. Ob Winter oder Sommer, Farish trug immer nur diese braunen
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