Der kleine Freund: Roman (German Edition)
Uniform-Overalls, außer wenn er zum Gericht oder zu einer Beerdigung gehen musste. Er hatte sie secondhand im Dutzend bei dem Kurierdienst gekauft. Vor Jahren hatte Parish tatsächlich bei der Post gearbeitet, aber nicht als Paketauslieferer, sondern als Briefträger. Ihm zufolge gab es keine coolere Tour, um wohlhabende Gegenden auszukundschaften, zu sehen, wer verreist war, wer die Fenster unverriegelt ließ, bei wem sich an jedem Wochenende die Zeitungen stapelten und wer einen Hund hatte, der möglicherweise Komplikationen machen konnte. Diese Masche hatte ihn seinen Job als Brieträger gekostet und hätte ihn sogar nach Leavenworth gebracht, wenn der Staatsanwalt ihm einen dieser Einbrüche während seines Dienstes hätte nachweisen können.
Wenn jemand im »Black Door Tavern« sich über Farishs UPS-Overall lustig machte oder wissen wollte, warum er ihn trug, pflegte Farish kurz angebunden zu antworten, dass er bei der Post gewesen sei. Aber das war Quatsch: Farish war zerfressen von Hass auf die Bundesregierung und vor allem auf die Post. Danny hatte den Verdacht, dass der eigentliche Grund, weshalb Farish diese Overalls so schätzte, darin bestand, dass er sich während seines Aufenthalts in der psychiatrischen Klinik daran gewöhnt hatte, ähnliche Kleidung zu tragen (eine andere Geschichte), aber über solche Dinge wollte weder Danny noch sonst irgendjemand gern mit Farish sprechen.
Er wollte eben zu dem großen Trailer hinübergehen, als Farish
die Lehne seines Liegestuhls aufrichtete und das Taschenmesser zuschnappen ließ. Sein Knie wippte heftig auf und ab. Farish hatte ein schlechtes Auge, weiß und milchig blind, und noch nach all den Jahren wurde es Danny unbehaglich, wenn Farish sich ihm so plötzlich zuwandte, wie er es jetzt tat.
»Gum und Eugene hatten eben einen kleinen Streit da drinnen über das Fernsehen«, sagte er. Gum war ihre Großmutter, die Mutter ihres Vaters. »Eugene findet, dass Gum ihre Leute nicht gucken sollte.«
Während er sprach, starrten die beiden Brüder quer über die Lichtung in den dichten, stillen Wald, ohne einander anzusehen: Farish hing massig in seinem Liegestuhl, und Danny stand neben ihm, wie Fahrgäste in einem überfüllten Zug. Meine Leute, so nannte ihre Großmutter ihre Soap Opera. Hohes Gras wucherte um ein totes Auto. Im dichten Unkraut schwamm eine kaputte Schubkarre mit dem Bauch nach oben.
»Eugene sagt, das ist nicht christlich. Ha!« Farish schlug sich auf das Knie, und das Klatschen ließ Danny zusammenzucken. »Gegen Wrestling hat er nichts. Oder gegen Football. Was ist denn so christlich am Wrestling?«
Mit Ausnahme von Curtis, der alles auf der Welt liebte, sogar Bienen und Wespen und die Blätter, die von den Bäumen fielen, hatten alle Ratliffs ein eher zwiespältiges Verhältnis zu Eugene. Er war der zweitälteste Bruder; im Familienunternehmen (das Diebstahl hieß) war er nach dem Tod des Vaters Farishs Feldmarschall gewesen. Dabei hatte er seine Aufgaben pflichtbewusst – wenn auch weder besonders tatkräftig noch inspiriert – erfüllt, aber als er gegen Ende der sechziger Jahre wegen Autodiebstahls im Parchman-Gefängnis gewesen war, hatte er eine Vision empfangen, die ihm auftrug, hinauszuziehen und Jesus zu preisen. Seitdem war das Verhältnis zwischen Eugene und dem Rest der Familie ein bisschen angespannt. Er lehnte es ab, sich weiterhin die Hände mit dem schmutzig zu machen, was er als des Teufels Werke bezeichnete, auch wenn er, wie Gum oft und schrill genug einwandte,
durchaus nichts dagegen hatte, sich von des Teufels Werken mit Essen und Obdach versorgen zu lassen.
Eugene kümmerte das nicht. Er überschüttete sie mit Bibelzitaten, nörgelte pausenlos an seiner Großmutter herum und ging ganz allgemein jedem auf die Nerven. Er hatte die Humorlosigkeit ihres Vaters geerbt (wenn auch gottlob nicht seinen Jähzorn); selbst in alten Zeiten, als er noch Autos gestohlen und sich nächtelang betrunken herumgetrieben hatte, hatte man sich in seiner Gesellschaft nie besonders amüsiert. Er war nicht verbiestert oder nachtragend, sondern im Grunde ein anständiger Kerl, aber er langweilte sie mit seinem Bekehrungseifer zu Tode.
»Was macht Eugene überhaupt hier?«, fragte Danny. »Ich dachte, er ist in der Mission mit dem Schlangenjungen.«
Farish lachte – ein erschreckendes, schrilles Kichern. »Ich schätze, die Mission überlässt er Loyal, solange die Schlangen da sind.« Eugene vermutete hinter Loyals Besuch zu Recht
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