Der kleine Freund: Roman (German Edition)
Ihr Vater war genauso gewesen. Selbst wenn er dabei war, Danny oder Mike oder Ricky Lee wegen irgendeiner Belanglosigkeit halb totzuschlagen, brauchte er nur irgendeine unwichtige Nachricht aufzuschnappen, und schon hielt er mitten im Schlag inne (ließ seinen Sohn zusammengesackt und weinend auf dem Boden liegen) und lief nach nebenan, um das Radio lauter zu stellen. Rinderpreise gestiegen! Ja, stell dir vor.
Laut sagte er: »Ich sag dir, was ich gern wissen möchte.« Er hatte Dolphus noch nie getraut, und diesem Loyal traute er auch nicht. »Wie sind die Schlangen überhaupt aus der Kiste gekommen?«
»Oh, Scheiße!« Farish sprang zum Fenster. Erst nach ein paar Augenblicken begriff Danny, dass das leise, statische pop pop pop in seinen Ohren nicht aus seinem Kopf kam: Da hielt tatsächlich ein Auto draußen auf dem Kies.
Ein glühender Punkt – wie eine Zecke, die in Flammen aufging – loderte zischelnd in seinem Gesichtsfeld auf. Ehe Danny sich versah, war Loyal im hinteren Zimmer verschwunden, und Farish stand an der Tür und sagte: »Komm her. Sag ihm, der Krach – Eugene? – sag ihm, du bist draußen im Garten von ’ner Schlange gebissen worden...«
»Sag ihm...« Eugene taumelte mit glasigem Blick im grellen Licht der Glühbirne unter der Decke. »Sag ihm, er soll seine Scheißreptilien einpacken. Ich rate ihm, lieber nicht mehr hier zu sein, wenn ich morgen früh aufstehe.«
»Sorry, Mister«, sagte Farish und trat vor, um der wütend stammelnden Gestalt, die sich Zugang verschaffen wollte, den Weg zu versperren.
»Was geht hier vor? Was für eine Party ist...«
»Das ist keine Party, Sir, nein, kommen Sie nicht herein.« Farish blockierte die Tür mit seiner massigen Gestalt. »Wir haben keine Zeit, rumzustehen und Besuch zu empfangen. Wir brauchen Hilfe hier, mein Bruder ist von’ner Schlange gebissen worden, er ist schon ganz von Sinnen, sehen Sie? Helfen Sie mir, ihn zum Wagen zu bringen.«
»Du Babdisten-Teufel«, sagte Eugene zu der rotgesichtigen Halluzination namens Roy Dial – in karierten Shorts und kanariengelbem Golfhemd –, die da am Ende eines engen Tunnels flackerte, in einem immer kleiner werdenden Radius von Licht.
In dieser Nacht – während eine beringte, hurenhafte Lady weinte inmitten von Blumen und Menschen, auf dem flimmernden Schwarzweißbildschirm weinte um das große Tor und den breiten Weg und die Massen, die darauf in den Untergang strömten – warf Eugene sich in seinem Krankenhausbett hin und her, und ein Geruch wie von verbrannten Kleidern erfüllte seine Nase. Hin und her driftete er, zwischen den weißen Vorhängen und den Hosanna-Rufen der hurenhaften Lady und einem Sturm an den Ufern eines dunklen, fernen Flusses. Bilder wirbelten heran und davon wie Prophezeiungen: beschmutzte Tauben, das Nest eines bösen Vogels, gebaut aus den schuppigen Fetzen abgeworfener Schlangenhäute, eine lange schwarze Schlange, die aus einem Loch gekrochen kam, mit Vögeln im Bauch. Winzige Klumpen, die sich bewegten, immer noch lebendig, immer noch bestrebt zu singen, selbst in der Finsternis des Schlangenbauches...
In der Mission schlief Loyal in seinem Schlafsack zusammengerollt trotz seines blauen Auges tief und fest, weder von Alpträumen noch von Reptilien geplagt. Noch ehe die Sonne aufging, wachte er ausgeruht auf, sprach seine Gebete, wusch sich das Gesicht, trank ein Glas Wasser, lud eilig seine Schlangen auf, kam wieder nach oben und schrieb am Küchentisch fein säuberlich Dankesworte an Eugene auf die Rückseite einer
Tankquittung, die er dann auf dem Tisch liegen ließ, zusammen mit einem fransengeschmückten Lesezeichen aus Kunstleder, einem Traktat mit dem Titel »Hiobs Bekehrung« und einem Stapel von siebenunddreißig Ein-Dollar-Scheinen. Bei Sonnenaufgang saß er in seinem Truck mit den zerschlagenen Scheinwerfern und war auf dem Highway unterwegs zum Homecoming seiner Kirche in East Tennessee. Dass die Kobra (seine kostbarste Schlange, die einzige, für die er Geld bezahlt hatte) nicht da war, merkte er erst in Knoxville. Als er bei Eugene anrief, um es ihm zu sagen, meldete sich niemand. Und niemand war in der Mission und hörte das Schreien der Mormonenjungen, die spät aufgestanden waren (um acht Uhr, weil sie erst mitten in der Nacht aus Memphis zurückgekommen waren) und sich durch den Anblick einer Waldklapperschlange, die auf einem Korb mit frisch gewaschenen Hemden lag und sie beobachtete, aus ihrer Morgenandacht gerissen sahen.
KAPITEL
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