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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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5.
Die roten Handschuhe.
    Am nächsten Morgen wurde Harriet erst spät wach. Alles juckte, sie war ungewaschen, das Bett sandig. Der Geruch unter dem Haus, die bunten Kisten mit Nieten, funkelnd wie Juwelen, die langen Schatten in der erleuchteten Tür – das alles und mehr war in ihren Traum hineingeblutet und hatte sich seltsam vermischt mit den Tuschfeder-Illustrationen in ihrer Heftchenausgabe von »Rikki-Tikki-Tavi« (der großäugige Teddy, der Mungo, sogar die Schlangen keck und liebenswürdig wiedergegeben). Am Fuße der Seite, wie das Schlussbild in einem Märchenbuch, war irgendein armes Geschöpf gewesen, gefesselt und dumpf auf den Boden schlagend. Es hatte Schmerzen, es brauchte ihre Hilfe, aber Harriet erkannte nicht, welche, und obwohl seine bloße Anwesenheit ein Vorwurf war, eine Erinnerung an ihre eigene Nachlässigkeit und Ungerechtigkeit, war sie doch zu angewidert, um ihm zu helfen oder auch nur in seine Richtung zu schauen.
    Beachte es nicht, Harriet! sang Edie. Sie und der Prediger waren in der Ecke des Zimmers bei der Kommode damit beschäftigt, einen Folterstuhl einzurichten, der aussah wie ein Zahnarztsessel und dessen gepolsterte Kopf – und Armlehnen von Nadeln starrten. Auf eine bestürzende Weise sahen die beiden aus wie ein Liebespaar, wie sie sich mit hochgezogenen Brauen anbetungsvolle Blicke zuwarfen. Edie prüfte hier und da die Nadelspitzen mit zartem Finger, während der Prediger liebevoll lächelnd zurücktrat, die Arme vor der Brust verschränkte und die Hände unter die Achseln schob ...
    Während Harriet unruhig in die stehenden Wasser des Alptraums zurücksank, schrak Hely in der oberen Koje seines Stockbetts so jäh aus dem Schlaf hoch, dass er sich den Kopf
an der Decke stieß. Ohne nachzudenken, warf er die Beine über die Bettkante und wäre beinahe hinausgefallen, denn am Abend zuvor hatte er in seiner irren Angst vor dem, was ihm da nachgekrochen kommen könnte, die Leiter losgehakt und auf den Teppich geworfen.
    Befangen, als wäre er auf dem Schulhof vor aller Augen gestolpert, richtete er sich auf und sprang auf den Boden. Er war bereits aus seinem dunklen, klimatisierten kleinen Zimmer hinaus und halb den Flur hinuntergelaufen, bevor ihm auffiel, wie still es im Haus war. Er schlich sich die Treppe hinunter in die Küche (niemand da, die Einfahrt leer, Moms Autoschlüssel weg), schüttete sich eine Portion »Giggle Pops« in eine Schüssel, ging damit ins Wohnzimmer und schaltete den Fernseher ein. Eine Gameshow war im Gange. Er schlürfte seine Knusperflocken. Obwohl die Milch kalt genug war, kratzten die knirschenden Bröckchen seinen Gaumen; sie schmeckten merkwürdig nach nichts, nicht einmal süß.
    Die Stille im Haus bereitete Hely Unbehagen. Er musste an den schrecklichen Morgen denken, nachdem er und sein älterer Cousin Todd im Country Club eine Flasche Rum aus einer Tüte auf dem Vordersitz eines fremden, unverschlossenen Lincoln genommen und halb leer getrunken hatten. Während Helys und Todds Eltern beim Grill am Pool gestanden und Cocktailwürstchen auf Zahnstochern geknabbert hatten, hatten er und Todd sich einen Golfwagen ausgeliehen und damit eine Kiefer gerammt. Hely konnte sich daran allerdings kaum erinnern: Er wusste eigentlich nur noch, dass er einen Steilhang am Ende des Golfplatzes hinuntergekullert war, Hals über Kopf. Als er später Bauchschmerzen bekam, sagte Todd, er solle zum Büfett gehen und möglichst viele Cocktailwürstchen essen, so schnell er könnte. Dann hatte er auf dem Parkplatz hinter einem Cadillac gekniet und sich übergeben, während Todd so furchtbar hatte lachen müssen, dass sein gemeines Sommersprossengesicht rot wie eine Tomate geworden war. Irgendwie hatte er es bis nach Hause geschafft, sich ins Bett gelegt und war eingeschlafen. Als er am nächsten Morgen aufgewacht war, war das Haus leer gewesen: Sie waren alle nach
Memphis gefahren, ohne ihn, und hatten Todd und seine Eltern zum Flughafen gebracht.
    Das war der längste Tag seines Lebens gewesen. Er hatte stundenlang allein im Haus herumtappen müssen, einsam und ohne Beschäftigung, hatte versucht, sich genau zu erinnern, was am Abend zuvor passiert war, und er hatte befürchtet, dass er eine furchtbare Strafe zu erwarten hatte, wenn seine Eltern nach Hause kämen – und mit dieser Befürchtung lag er ganz richtig. Er musste sein ganzes Geburtstagsgeld herausrücken, um den Schaden zu bezahlen (seine Eltern waren gezwungen, den größten Teil zu

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