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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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übernehmen), und er musste einen Entschuldigungsbrief an den Besitzer des Golfwagens schreiben. Er bekam Fernsehverbot, für alle Zeit, wie ihm schien. Aber das Schlimmste war, dass seine Mutter sich laut fragte, wo er gelernt habe zu stehlen. »Es geht weniger um den Schnaps«, das hatte sie wohl tausendmal zu seinem Vater gesagt, »als vielmehr darum, dass er ihn gestohlen hat.« Für seinen Vater zählten solche Unterscheidungen nicht: Er benahm sich, als habe Hely eine Bank ausgeraubt. Eine Ewigkeit lang sprach er kaum mit ihm, außer um sich das Salz reichen zu lassen oder dergleichen, und er würdigte ihn keines Blickes. Das Leben zu Hause war nie wieder ganz so wie vorher geworden. Und natürlich hatte Todd – typisch Mr. Musikgenie, erste Klarinette in der Junior-High-School-Band in Illinois – Hely die ganze Schuld in die Schuhe geschoben, wie immer schon, wenn sie sich früher (gottlob nicht oft) gesehen hatten.
    Ein prominenter Gast in der Gameshow hatte eben ein unanständiges Wort gesagt, und der Showmaster ließ einen Piepton darüber hinwegtönen, ein aufdringliches Geräusch wie das quietschende Spielzeug eines Hundes.
    Wo zum Teufel blieben seine Eltern? Warum kamen sie nicht einfach nach Hause, damit die Sache erledigt war? Na, na, na!, sagte der lachende Showmaster eben. Der andere Promi-Kandidat bog sich auf seinem Stuhl zurück und klatschte beifällig.
    Hely bemühte sich, nicht mehr an den vergangenen Abend zu denken. Die Erinnerung daran verfinsterte und vermieste
den Morgen wie der Nachgeschmack eines bösen Traums. Er versuchte, sich einzureden, dass er nichts Unrechtes getan habe, eigentlich gar nichts, er hatte nichts kaputtgemacht, er hatte niemanden verletzt, und er hatte nichts weggenommen, was ihm nicht gehörte. Da war die Schlange, gut. Aber die hatten sie nicht richtig weggenommen, sie war immer noch unter dem Haus. Und er hatte die anderen Schlangen herausgelassen, aber – na und? Das war Mississippi hier: Schlangen krochen sowieso überall rum, und wer würde merken, dass es jetzt ein paar mehr waren? Er hatte einen Riegel aufgemacht, mehr nicht, einen einzigen Riegel. Was sollte daran so weltbewegend sein? Es war ja nicht so, als hätte er einem Stadtrat den Golfwagen geklaut und zu Schrott gefahren...
    Ding machte die Glocke: Zeit für die heutige Entscheidungsrunde! Die Kandidaten, deren Blicke hin und her huschten, standen vor der großen Tafel und schluckten. Was hatten die für Sorgen?, dachte Hely verbittert. Er hatte nicht wieder mit Harriet gesprochen, nachdem er entkommen war – er wusste nicht mal, ob sie es geschafft hatte, nach Hause zu kommen. Auch eine Sache, die ihm allmählich Sorgen machte. Als er sich aus dem Garten gerettet hatte, war er sofort auf die andere Straßenseite geflitzt und nach Hause gerannt, über Zäune und durch fremde Gärten, und von überallher in der Dunkelheit, so war es ihm vorgekommen, hatten ihn Hunde angekläfft.
    Als er sich mit rotem Gesicht und keuchend zur Hintertür hereingeschlichen hatte, sah er auf der Uhr am Herd, dass es noch früh war, erst neun. Er hörte, dass seine Eltern im Wohnzimmer fernsahen. Jetzt, am Morgen, wünschte er, er hätte den Kopf zu ihnen hineingesteckt und irgendetwas gesagt, hätte auf der Treppe noch »Gute Nacht« gerufen oder so etwas. Aber er hatte nicht den Mut gehabt, ihnen entgegenzutreten, und war feige ins Bett gehuscht, ohne ein Wort mit jemandem zu sprechen.
    Er hatte kein Verlangen danach, Harriet zu sehen. Bei ihrem bloßen Namen musste er an Dinge denken, an die er lieber nicht dachte. Steif, als ob irgendein feindseliger Beobachter
ihn hinterrücks von der Tür her finster anschaute, starrte er die unbekümmerten Prominenten an, die sich über ihr Rätsel berieten, und versuchte, seine Sorgen zu vergessen. Keine Harriet, keine Schlangen, keine drohende Bestrafung durch seinen Dad. Keine großen, Furcht erregenden Rednecks, die ihn erkannt hatten, da war er sicher. Wenn sie nun zu seinem Vater gingen? Oder, schlimmer noch: wenn sie hinter ihm her waren? Wer konnte schon wissen, was ein Irrer wie Farish Ratliff tun würde?
    Ein Wagen hielt in der Einfahrt, und Hely hätte beinahe geschrien. Aber als er aus dem Fenster schaute, sah er, dass es nicht die Ratliffs waren, sondern nur sein Dad. Hastig und krampfhaft versuchte er, sich hängen zu lassen und eine insgesamt gelassenere Haltung einzunehmen, aber es gelang ihm nicht wirklich. Mit eingezogenem Kopf wartete er auf das

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