Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
Vom Netzwerk:
Verwunderung. »Was machst du?«
    »Du hast gesagt, ich sollte hierher fahren«, sagte Danny und bemühte sich, möglichst neutral zu klingen.
    »Ja?«
    Danny hatte das Gefühl, etwas sagen zu müssen, aber er wusste nicht, was. Hatte Farish vom Turm gesprochen? Plötzlich war er nicht mehr sicher.
    »Du hast gesagt, du wolltest mich kontrollieren«, sagte er versuchsweise, wie einen Testballon, um zu sehen, was passieren würde.
    Farish zuckte die Achseln, und dann lehnte er sich zu Dannys Überraschung wieder zurück und schaute aus dem Fenster. Das Herumfahren brachte ihn meistens in gute Stimmung. Danny hörte noch immer, wie Farish einen leisen Pfiff ausgestoßen hatte, als er zum ersten Mal mit dem TransAm vorgefahren war. Wie gern fuhr er durch die Gegend, stieg einfach in den Wagen und fuhr los! In den ersten paar Monaten waren sie nur zum Spaß nach Indiana raufgefahren, nur sie beide, und einmal bis rüber nach West Texas – ohne Grund, zu sehen gab es da nichts, nur klares Wetter und die Highway-Schilder, die über ihnen aufblitzten, während sie im Radio irgendeinen Song suchten.
    »Ich sag dir was. Lass uns irgendwo frühstücken«, schlug Farish vor.
    Danny Absichten gerieten ins Wanken. Er hatte Hunger. Dann dachte er an seinen Plan. Er war gefasst, er stand fest, er
war der einzige Ausweg. Schwarze Flügel winkten ihn um die Ecke, in eine Zukunft, die er nicht sehen konnte.
    Er wendete nicht, sondern fuhr weiter. Bäume drängten sich dicht an den Wagen. Die Asphaltstraße lag jetzt so weit hinter ihnen, dass man von einer richtigen Straße hier gar nicht mehr sprechen konnte: Es waren Schlaglöcher in einer ausgefahrenen Schotterpiste.
    »Ich versuch bloß, ’ne Stelle zum Wenden zu finden«, sagte er, und im selben Augenblick merkte er, wie dumm es klang.
    Er hielt an. Sie waren ein ordentliches Stück weit von der Straße entfernt; die Piste war so schlecht, das Gestrüpp so hoch, dass er keine Lust hatte, noch weiter zu fahren und zu riskieren, dass er irgendwo stecken blieb. Die Hunde fingen wie verrückt an zu bellen, sprangen hin und her und drängten nach vorn. Danny drehte sich um, als wolle er aussteigen. »Da wären wir«, sagte er ohne jeden Sinn. Hastig zog er die kleine Pistole aus dem Stiefel und richtete sie auf Farish.
    Aber Farish sah es nicht. Er hatte sich auf dem Sitz zur Seite gedreht und den massigen Bauch der Tür zugewandt. »Geh da runter«, sagte er zu der Hündin, die Van Zant hieß. »Runter, hab ich gesagt. Ab!« Er hob die Hand, und der Hund wich zurück.
    »Willst du dich mit mir anlegen? Kommst du mir mit diesem widerspenstischen Scheiß?«
    Er hatte noch keinen Blick auf Danny oder die Pistole geworfen. Um seine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, räusperte Danny sich.
    Farish hob eine schmutzige rote Hand. »Moment!«, sagte er, ohne sich umzusehen. »Warte, ich muss diesem Hund Disziplin beibringen. Ich hab’s satt« – (zack, auf den Kopf), »du mieser Köter. Werd mir ja nicht frech!« Er und die Hündin funkelten einander an. Sie hatte die Ohren flach an den Kopf gelegt, und ihre gelben Augen glühten.
    »Na los. Mach’s ruhig. Ich knall dir eine, wie du sie noch nie – nein, warte.« Er hob den Arm und drehte sich halb zu Danny um, aber es war das blinde Auge, das er auf ihn richtete. »Ich muss diesem Biest eine Lektion erteilen.« Es war kalt
und blau wie eine Auster, dieses blinde Auge. »Na los«, sagte er zu dem Hund, »versuch’s nur. Es wird das letzte Mal sein, dass du je ...«
    Danny spannte den Hahn und schoss Farish in den Kopf. Es ging einfach so, genauso schnell: krack. Farishs Kopf schnellte nach vorn, und sein Mund klappte auf. Mit einer seltsam gelassenen Geste griff er zum Armaturenbrett, um sich abzustützen. Dann drehte er sich zu Danny um, das gesunde Auge halb geschlossen, aber das blinde weit aufgerissen. Eine Blase aus Speichel, vermischt mit Blut, quoll aus seinem Mund; er sah aus wie ein Fisch, wie ein Katzenwels am Haken: blop, blop.
    Danny schoss noch einmal, in den Hals diesmal. In der Stille, die um ihn herum in blechernen Kreisen hallte und verwehte, stieg er aus dem Wagen und schlug die Tür zu. Jetzt war es passiert, und es gab kein Zurück. Sein Hemd war vorn mit Blut bespritzt; er berührte seine Wange und betrachtete dann die rostig verschmierten Fingerspitzen. Farish war vornüber zusammengesackt, seine Arme lagen auf dem Armaturenbrett; sein Hals war Brei, aber sein Mund – voller Blut – bewegte sich noch.

Weitere Kostenlose Bücher