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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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geschlossenen Lidern eine Vision wie von einem angerissenen Streichholz aufloderte,
von einem weißen Luzifer-Streifen, der im Dunkeln heraufsprang.
    Schmerz schoss durch ihre Kopfhaut, als er sie an den Haarwurzeln hochriss. Husten betäubte ihre Ohren, und das dröhnende Echo überwältigte sie. Er brüllte Worte, die sie nicht verstand, und sein Gesicht war ziegelrot, wutgeschwollen, ein Furcht erregender Anblick. Würgend und hustend schlug sie mit den Armen auf das Wasser und suchte strampelnd Halt für ihre Füße. Als sie mit den Zehen an die Tankwand stieß, tat sie einen tiefen, sättigenden Atemzug. Die Erleichterung war himmlisch, unbeschreiblich (ein magischer Akkord, die Harmonie der Sphären), sie atmete ein und ein und ein, bis er brüllend ihren Kopf erneut hinunterdrückte und das Wasser wieder in ihren Ohren krachte.

    Zähneknirschend hielt Danny sie fest. Schmerz wand sich wie dicke Seile tief durch seine Schultern, und bei dem kreischenden Wackeln der Leiter brach ihm der Schweiß aus. Ihr Kopf dümpelte leicht und instabil unter seiner Hand, wie ein Ballon, der ihm jeden Moment entgleiten konnte, und von ihrem brodelnden Gezappel wurde er seekrank. Sosehr er sich bemühte, sich abzustützen oder eine haltbare Position zu finden, es gelang ihm nicht. Er baumelte an der Leiter ohne etwas Festes unter den Füßen und strampelte umher, um auf irgendetwas zu treten, das nicht da war. Wie lange dauerte es, jemanden zu ertränken? Es war eine scheußliche Arbeit, und zweimal so scheußlich, wenn man nur einen Arm benutzen konnte.
    Eine Mücke sirrte an seinem Ohr herum und machte ihn rasend. Er bewegte den Kopf ruckhaft hin und her, um ihr zu entgehen, aber dieses Drecksbiest schien zu spüren, dass er keine Hand frei hatte, um nach ihr zu schlagen.
    Mücken überall überall. Sie hatten ihn endlich gefunden, und sie wussten, dass er sich nicht rühren konnte. Aufreizend genüsslich bohrten sie ihre Stacheln in sein Kinn, seinen Hals, in die bebende Haut an seinen Armen.
    Komm schon, komm schon, bring’s hinter dich, drängte er sich. Er drückte sie mit der rechten Hand – der stärkeren – unter Wasser, aber sein Blick war starr auf die Hand gerichtet, die die Leiter umklammerte. Er hatte nicht mehr viel Gefühl darin, und dass er sich überhaupt noch festhielt, konnte er mit Sicherheit nur sagen, wenn er seine Finger ins Visier nahm, die sich fest an die Sprosse klammerten. Außerdem machte das Wasser ihm Angst, und er fürchtete, ohnmächtig zu werden, wenn er nur hinschaute. Ein ertrinkendes Kind konnte einen erwachsenen Mann in die Tiefe ziehen – einen erfahrenen Schwimmer, selbst einen Rettungsschwimmer. Er hatte solche Geschichten gehört...
    Unversehens wurde ihm klar, dass sie aufgehört hatte zu zappeln. Sie bewegte sich nicht mehr. Nadelstiche jagten über seine schmerzenden Arme hinunter, und er schwang sich auf der Leiter herum und wechselte den Griff. Dabei schlug er sich die Moskitos aus dem Gesicht. Eine Zeit lang schaute er die Kleine noch an, indirekt und aus dem Augenwinkel wie bei einem Verkehrsunfall auf dem Highway.
    Plötzlich fingen seine Arme so heftig an zu zittern, dass er sich kaum noch an der Leiter festhalten konnte. Mit dem Unterarm wischte er sich den Schweiß aus dem Gesicht und spuckte einen Mundvoll Saures aus. Am ganzen Leib bebend, griff er nach der nächsthöheren Sprosse, streckte beide Ellenbogen und zog sich hoch, und das rostige Eisen unter ihm quietschte laut. So erschöpft er war, sosehr er drauf brannte, von diesem Wasser wegzukommen, er zwang sich doch, sich noch einmal umzudrehen und ihre Gestalt ein letztes Mal lange zu betrachten. Dann stieß er sie mit dem Fuß an und sah zu, wie sie kreiselnd in den Schatten davontrieb, reglos wie ein Balken.

    Harriet hatte keine Angst mehr. Irgendetwas Seltsames hatte von ihr Besitz ergriffen. Ketten rissen, Schlösser brachen, die Schwerkraft rollte davon, und sie stieg empor, höher und immer höher, schwebend in luftloser Nacht: mit ausgebreiteten Armen, eine Astronautin, schwerelos. Dunkelheit bebte in ihrem
Kielwasser in verschränkten Kreisen, anschwellend, sich ausdehnend wie die Kreise von Regentropfen auf Wasser.
    Erhabene Fremdartigkeit. In ihren Ohren summte es, und fast konnte sie die Sonne spüren, die ihr auf den Rücken brannte, während sie hoch über aschgrauen Ebenen und endlosen Wüsten dahinschwebte. Ich weiß, was es für ein Gefühl ist zu sterben. Wenn sie die Augen öffnete, würde

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