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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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sie auf ihren eigenen Schatten hinuntersehen (die Arme ausgebreitet wie ein Weihnachtsengel), der blau auf dem Boden des Swimmingpools schimmerte.
    Das Wasser leckte an ihr, und die rollende Bewegung näherte sich in beruhigender Weise dem Rhythmus des Atmens. Es war, als habe das Wasser, das sie umgab, ihr das Atmen abgenommen. Das Atmen selbst war ein vergessenes Lied, ein Lied, das Engel sangen. Einatmen: ein Akkord. Ausatmen: Frohlocken, Triumph, die verlorenen Chöre des Paradieses. Sie hatte den Atem jetzt schon lange angehalten, und sie konnte ihn noch ein bisschen länger anhalten.
    Noch ein bisschen länger. Noch ein bisschen länger. Plötzlich stieß ein Fuß gegen ihre Schulter, und sie merkte, dass sie auf die dunkle Seite des Tanks hinüberkreiselte. Ein sanfter Funkenschauer. Und weiter segelte sie durch die Kälte. Alles funkelte: Sternschnuppen, Lichter tief unter ihr, Städte, die in der dunklen Atmosphäre glitzerten. Ein drängender Schmerz brannte in ihrer Lunge, der jede Sekunde stärker wurde, aber noch ein bisschen länger, sagte sie sich, nur noch ein bisschen länger, muss es bis zum Ende durchkämpfen...
    Ihr Kopf stieß an die gegenüberliegende Wand des Tanks. Der Anprall ließ sie zurückrollen, und in derselben Bewegung, in dieser Rückwärtswelle tauchte ihr Gesicht gerade lange genug auf, um einen winzigen Sekundenbruchteil lang Atem zu holen, bevor das Wasser sie wieder umschwappte.
    Wieder die Dunkelheit. Eine dunklere Dunkelheit, wenn das möglich war, in der noch der letzte Lichtschimmer vor ihren Augen versickerte. Harriet trieb im Wasser und wartete, sanft umspült von ihren Kleidern.
    Sie war an der sonnenlosen Seite des Tanks, dicht vor der
Wand. Die Dunkelheit, hoffte sie, und die Bewegung des Wassers hatte ihren Atemzug getarnt (einen ganz winzigen Atemzug nur, am oberen Ende der Lunge). Es war nicht genug, um den Schmerz in ihrer Brust zu lindern, aber es war genug, um noch ein bisschen länger durchzuhalten.
    Noch ein bisschen länger. Irgendwo tickte eine Stoppuhr. Denn es war nur ein Spiel, und zwar ein Spiel, in dem sie gut war. Vögel können singen, und Fische können schwimmen, und ich kann das hier . Funkelnde Nadelstiche rieselten wie eisige Regentropfen über ihre Kopfhaut und die Rückseite ihrer Arme. Heißer Zementboden und Chlorgeruch, gestreifte Wasserbälle und Schlauchboote für Kinder, und ich stehe in der Schlange, um ein Snickers-Eis zu kaufen oder vielleicht ein Dreamsicle ...
    Noch ein bisschen länger. Ein bisschen länger. Tiefer sank sie in die Luftlosigkeit, und ihre Lunge leuchtete vor Schmerz. Sie war ein kleiner weißer Mond, hoch oben über einer weglosen Wüste.

    Danny klammerte sich keuchend an die Leiter. Die Kleine zu ertränken war eine solche Tortur gewesen, dass er für den Augenblick vergessen hatte, was mit dem Stoff passiert war, aber jetzt wurde ihm die wahre Situation wieder bewusst, und am liebsten hätte er sich das Gesicht zerkratzt und laut geheult. Denn – fuck! – wie sollte er mit einem blutbespritzten Wagen und ohne Geld aus der Stadt verschwinden? Er hatte mit dem Stoff gerechnet, hatte damit gerechnet, dass er ihn verdealen würde, wenn nötig, in Bars oder an der Straßenecke. Er hatte vielleicht vierzig Dollar bei sich (daran hatte er immerhin gedacht, als er hergefahren war; er konnte den Mann bei Texaco ja nicht gut mit Speed bezahlen), und dann war da noch Farishs bester Freund, diese mit Scheinen voll gestopfte Brieftasche, die er immer in der Gesäßtasche stecken hatte. Wie viel Geld wirklich drin war, wusste Danny auch nicht. Wenn er Glück hatte – wenn er wirklich Glück hatte –, waren es vielleicht tausend Dollar.
    Also hatte er Farishs Schmuck (das Eiserne Kreuz war nichts wert, aber die Ringe schon) und seine Brieftasche. Danny fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Das Geld in der Brieftasche würde einen Monat reichen, vielleicht zwei. Aber dann...
    Vielleicht konnte er sich einen falschen Ausweis besorgen. Oder er konnte einen Job finden, bei dem er keinen Ausweis brauchte, als Wanderarbeiter, Orangen oder Tabak pflücken. Aber das war ein kläglicher Lohn, eine klägliche Zukunft, verglichen mit dem Jackpot, den er sich ausgemalt hatte.
    Und wenn sie die Leiche fänden, würden sie ihn suchen. Die Kanone lag im Wald, nach Mafiaart sauber abgewischt. Es wäre schlau gewesen, sie in den Fluss zu schmeißen, aber jetzt, wo die Drogen weg waren, war die Pistole einer der letzten Wertgegenstände

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