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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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für ihn. Je länger er über seine Möglichkeiten nachdachte, desto weniger und beschissener kamen sie ihm vor.
    Er schaute zu der Gestalt hinüber, die da im Wasser dümpelte. Warum hatte sie seinen Stoff vernichtet? Warum? Er war abergläubisch, was die Kleine anging; sie war ein Schatten und ein Unglücksbringer, aber jetzt, wo sie tot war, befürchtete er, dass sie ihm vielleicht auch Glück gebracht hatte. Er wusste nicht, ob er nicht einen Riesenfehler begangen hatte – den Fehler seines Lebens –, indem er sie umbrachte, aber ehrlich, ich..., sagte er zu der Gestalt im Wasser und konnte den Satz nicht zu Ende bringen. Von jenem ersten Augenblick vor der Pool Hall an hatte er sich irgendwie in sie verstrickt, in eine Sache, die er nicht begriff, und das Geheimnis bedrängte ihn noch immer. Hätte er sie auf trockenem Boden gehabt, dann hätte er es aus ihr herausgeprügelt, aber dazu war es jetzt zu spät.
    Er fischte eins der Speedpäckchen aus dem ekligen Wasser. Der Stoff war geschmolzen und klebte zusammen, aber vielleicht war es noch spritzbar, wenn man ihn aufkochte. Er fischte umher und sammelte ungefähr ein halbes Dutzend mehr oder weniger vollgesogene Päckchen ein. Gespritzt hatte er noch nie, aber warum sollte er nicht mal damit anfangen?
    Noch ein letzter Blick, und dann fing er an, die Leiter hinaufzusteigen. Die Sprossen bogen sich kreischend unter seinem Gewicht. Er spürte, wie das Ding sich bewegte, es wackelte sehr viel stärker, als ihm lieb war, und er war dankbar, als er endlich wenigstens aus der dumpfigen Enge hinaus in Licht und Wärme gelangte. Mit zittrigen Beinen stand er auf. Alle Glieder taten ihm weh, ein Muskelschmerz, als sei er verprügelt worden, und wenn er es recht überlegte, entsprach das den Tatsachen. Ein Unwetter wälzte sich über den Fluss heran. Im Osten war der Himmel sonnig und blau, im Westen eisengrau, und Gewitterwolken quollen wogend über den Fluss. Schattenflecken segelten über die niedrigen Dächer der Stadt.
    Danny streckte sich und rieb sich das Kreuz. Er war triefend nass; grüner Schleim hing in langen Strängen an seinen Armen, aber trotz allem hatte sich seine Stimmung absurd gebessert, nur weil er die klamme Dunkelheit hinter sich gelassen hatte. Die Luft war schwül, aber es wehte ein leichter Wind, und er konnte wieder atmen. Er trat über das Dach an den Rand des Tanks, und seine Knie wurden wässrig weich vor Erleichterung, als er in der Ferne das Auto unberührt stehen sah. Eine einzelne Wagenspur schlängelte sich dahinter durch das hohe Unkraut.
    Froh und ohne nachzudenken wandte er sich der Leiter zu, aber er war ein bisschen aus dem Gleichgewicht geraten, und ehe er sich versah, brach er mit dem Fuß – krack  – durch eine morsche Planke. Die Welt kippte plötzlich zur Seite: ein diagonales Aufzucken von grauen Brettern und blauem Himmel. Einen wilden Augenblick lang ruderte er mit kreisenden Armen, um die Balance wiederzufinden, aber dann krachte es noch einmal, und er sackte bis an die Taille durch die Bretter.

    Harriet, die mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb, wurde von einem kramphaften Schaudern erfasst. Sie hatte versucht, verstohlen den Kopf zur Seite zu drehen, um noch einmal ganz kurz durch die Nase zu atmen, aber es war ihr nicht geglückt. Ihre Lunge war am Ende ihrer Kraft, sie zuckte unkontrolliert
und lechzte nach Luft, und wenn nicht Luft, dann Wasser. Und als ihr Mund sich ganz von allein öffnete, brach sie erschauernd durch die Wasseroberfläche und atmete tief, tief, tief.
    Die Erleichterung war so groß, dass sie beinahe versunken wäre. Unbeholfen stützte sie sich mit einer Hand an der schleimigen Wand ab und keuchte und keuchte und keuchte, sog die Luft in sich ein: köstliche Luft, reine und abgrundtiefe Luft, Luft, die durch ihren Körper strömte wie ein Lied. Sie wusste nicht, wo Danny Ratliff war, sie wusste nicht, ob er sie beobachtete, und es war ihr egal. Atmen war das Einzige, was noch wichtig war, und wenn dies der letzte Atemzug ihres Lebens war, dann sollte es ihr recht sein.
    Über ihr krachte es. Harriets erster Gedanke war die Pistole, aber sie versuchte nicht zu entkommen. Soll er mich erschießen, dachte sie, nach Luft schnappend, und ihre Augen waren feucht vor Dankbarkeit: Alles war besser als zu ertrinken.
    Dann schlug ein Streifen Sonnenlicht hellgrün und samten auf das dunkle Wasser, und als Harriet hochschaute, sah sie zwei Beine, die durch ein Loch in der Decke baumelten.
    Dann

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