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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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selbst mit grünem Eau de Cologne aus einer staubigen Flasche mit einer Flamencotänzerin auf dem Etikett. Jetzt war sie sauber und rosig, und ihr war schwindlig vor Hitze, aber unter dem Parfüm war die feuchte Luft des dampfigen Badezimmers immer noch schwer vom Hauch der Verwesung, deren Geschmack reif auf ihrer Zunge lag.
    Noch mehr Mundwasser, dachte sie, als ohne Vorwarnung ein weiterer widerlicher Schwall aus ihrem Magen heraufkam und in einer unglaublichen, klaren Flut aus ihrem Mund sprudelte.
    Als es vorbei war, legte Harriet sich auf den Boden und schmiegte die Wange an die meergrünen Fliesen. Sobald sie wieder stehen konnte, schleppte sie sich zum Waschbecken und wischte es mit einem Waschlappen aus. Dann wickelte sie sich in ein Badelaken und schlich sich die Treppe hinauf in ihr Zimmer.
    Ihr war so schlecht, so schwindlig, und sie war so müde, dass sie, ehe ihr klar war, was sie tat, die Tagesdecke abgezogen hatte und ins Bett gestiegen war – in das Bett, in dem sie seit Wochen nicht mehr geschlafen hatte. Aber das Gefühl war so himmlisch, dass es ihr egal war, und trotz der krampfhaften Leibschmerzen versank sie in einen tiefen Schlaf.

    Sie wurde von ihrer Mutter geweckt. Es war dämmrig. Harriet hatte Bauchschmerzen, und ihre Augen fühlten sich sandig an wie damals, als sie Bindehautentzündung gehabt hatte.
    »Was?«, fragte sie und stützte sich schwer auf die Ellenbogen.
    »Ich habe gefragt, ob du krank bist?«
    »Ich weiß nicht.«
    Harriets Mutter beugte sich über sie und befühlte ihre Stirn, dann zog sie die Stirn kraus und richtete sich wieder auf. »Was ist das für ein Geruch?« Als Harriet nicht antwortete, beugte sie sich noch einmal vor und beschnupperte misstrauisch ihren Hals.
    »Hast du von dem grünen Eau de Cologne genommen?«
    »Nein, Ma’am.« Das Lügen war inzwischen eine Gewohnheit; im Zweifel war es jetzt immer am besten, einfach nein zu sagen.
    »Das Zeug taugt nichts.« Harriets Vater hatte es ihrer Mutter zu Weihnachten geschenkt, dieses limonengrüne Parfüm mit der Flamencotänzerin; seit Jahren stand es unbenutzt auf dem Regal, eine feste Einrichtung seit Harriets Kindheit. »Wenn du Parfüm möchtest, kaufe ich dir ein Fläschchen Chanel Nr. 5 im Drugstore. Oder Norell, das benutzt Mutter. Ich selbst mag Norell nicht so gern, es ist ein bisschen zu kräftig...«
    Harriet schloss die Augen; beim aufrechten Sitzen wurde ihr wieder übel. Kaum hatte sie den Kopf wieder auf das Kissen gelegt, war ihre Mutter mit einem Glas Wasser und einem Aspirin an ihrem Bett.
    »Vielleicht solltest du eine Dose Bouillon essen«, sagte sie. »Ich rufe Mutter an und frage sie, ob sie welche hat.«
    Als sie gegangen war, stand Harriet auf, wickelte sich in die kratzige Häkeldecke und tappte den Flur hinunter zum Bad. Der Fußboden war kalt, die Klobrille ebenfalls. Auf das Erbrechen (ein bisschen) folgte Durchfall (eine Menge). Als sie sich danach das Gesicht wusch, sah sie im Spiegel des Medizinschränkchens erschrocken, wie rot ihre Augen waren.
    Fröstelnd schlich sie sich zurück ins Bett. Die Decke lag schwer auf ihr, aber besonders warm war ihr nicht.
    Dann schüttelte ihre Mutter das Fieberthermometer herunter. »Hier«, sagte sie, »mach den Mund auf«, und schob es hinein.
    Harriet lag da und schaute an die Decke. In ihrem Magen
brodelte es, und der Sumpfgeschmack des Wassers verfolgte sie noch immer. Sie versank in einem Traum, und eine Krankenschwester, die aussah wie Mrs. Dorrier vom Gesundheitsdienst, erklärte ihr, sie sei von einer giftigen Spinne gebissen worden, und nur eine Blutransfusion würde ihr das Leben retten.
    Ich hab’s getan, sagte Harriet. Ich hab ihn umgebracht.
    Mrs. Dorrier und ein paar andere Leute bereiteten die Geräte für die Bluttransfusion vor. Jemand sagte: Sie ist jetzt so weit.
    Ich will nicht, sagte Harriet. Lasst mich in Ruhe.
    Okay, sagte Mrs. Dorrier und ging. Harriet fühlte sich unbehaglich. Ein paar andere Damen waren noch da; sie lächelten sie an und flüsterten miteinander, aber keine bot ihr Hilfe an oder befragte sie nach ihrer Entscheidung zu sterben, obwohl sie sich ein bisschen wünschte, dass sie es täten.
    »Harriet?« Beim Klang der Stimme ihrer Mutter fuhr sie erschrocken hoch. Im Zimmer war es dunkel; das Fieberthermometer war verschwunden.
    »Hier«, sagte ihre Mutter. Der fleischig riechende Dampf, der ihr aus dem Becher entgegenstieg, war schwer und Übelkeit erregend.
    Harriet fuhr sich mit der Hand über das

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