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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Gesicht. »Ich möchte nicht.«
    »Bitte, Liebling!« Ungeduldig hielt ihre Mutter ihr den Punschbecher entgegen. Er war aus rubinrotem Glas, und Harriet liebte ihn; eines Nachmittags hatte Libby ihn ganz überraschend aus ihrer Porzellanvitrine genommen, in Zeitungspapier gewickelt und Harriet geschenkt, weil sie wusste, dass Harriet ihn so gern hatte. Jetzt, hier im dunklen Zimmer, war er schwarz, nur in seinem Herzen glomm ein unheimlicher, rubinroter Funke.
    »Nein«, sagte Harriet und wandte den Kopf von dem Becher ab, der unerbittlich an ihren Mund drängte, »nein, nein.«
    »Harriet!« Das war der alte, knappe Debütantinnenton, dünnhäutig und gereizt, ein Nörgeln, das keinen Widerspruch duldete.
    Da war der Becher wieder, direkt unter ihrer Nase. Harriet blieb nichts anderes übrig, als sich aufzusetzen und ihn anzunehmen. Sie stürzte die fleischige, Ekel erregende Flüssigkeit hinunter und bemühte sich, nicht zu würgen. Als sie fertig war, wischte sie sich den Mund mit der Papierserviette ab, die ihre Mutter ihr reichete – und dann kam alles ohne Vorwarnung wieder hoch, platschte auf die Bettdecke, Petersilienschnipsel und alles andere.
    Harriets Mutter stieß einen leisen Schrei aus. In ihrem Ärger sah sie seltsam jung aus, wie ein mürrischer Babysitter an einem schlechten Abend.
    »Entschuldigung«, sagte Harriet kläglich. Die Brühe roch wie eine Mischung aus Sumpfwasser und Hühnersuppe.
    »Oh, Liebes, was für eine Schweinerei. Nein, nicht...« Charlottes Stimme bekam einen panischen Unterton, als Harriet sich von Erschöpfung überwältigt in die Schweinerei zurücksinken lassen wollte.
    Dann geschah etwas sehr Merkwürdiges und Plötzliches. Ein starkes Licht strahlte ihr von oben ins Gesicht. Es war die Kristallglas-Deckenlampe im Flur. Erstaunt erkannte Harriet, dass sie nicht im Bett, nicht einmal in ihrem Zimmer lag, sondern auf dem Boden im oberen Flur, in dem schmalen Durchgang zwischen einigen Zeitungsstapeln. Und das Seltsamste war, dass Edie neben ihr kniete, düster und blass und ohne Lippenstift.
    Völlig desorientiert hob Harriet einen Arm und rollte den Kopf hin und her, und ihre Mutter wollte sich laut weinend auf sie stürzen. Edie streckte den Arm aus und hielt sie zurück. »Lass sie atmen!«
    Harriet lag auf dem Hartholzboden und war ratlos. Neben dem Erstaunen darüber, dass sie plötzlich woanders war, kam ihr als Erstes zu Bewusstsein, dass ihr Kopf und ihr Hals wehtaten  – und zwar wirklich wehtaten. Und als Zweites fiel ihr auf, dass Edie nicht hier oben zu sein hatte. Harriet konnte sich nicht mal erinnern, wann Edie überhaupt das letzte Mal im Haus gewesen war (vom Eingangsflur abgesehen, der relativ sauber gehalten wurde, für den Fall, dass Besuch kam).
    Wie bin ich hierher gekommen?, fragte sie Edie, aber es kam nicht so heraus, wie es sollte (ihre Gedanken waren durcheinander gewürfelt und zusammengequetscht), und sie schluckte und versuchte es noch einmal.
    Edie beruhigte sie. Sie half ihr, sich aufzurichten, und Harriet schaute an ihren Armen und Beinen hinunter und stellte mit seltsamem Kribbeln fest, dass sie andere Sachen anhatte.
    Warum hab ich andere Sachen an?, wollte sie fragen – aber auch das kam nicht richtig heraus. Tapfer kaute sie auf dem Satz.
    »Pscht.« Edie legte ihr einen Finger auf die Lippen. Zu Harriets Mutter (die im Hintergrund weinte – und Allison stand hinter ihr mit gehetztem Blick und kaute an den Fingernägeln) sagte sie: »Wie lange hat das gedauert?«
    »Ich weiß es nicht.« Harriets Mutter presste sich die Hände an die Schläfen.
    »Charlotte, es ist wichtig, sie hatte einen Anfall.«

    Der Warteraum im Krankenhaus flimmerte unstet wie in einem Traum. Alles war zu hell – die Oberflächen blitzsauber –, aber die Stühle waren abgenutzt und schäbig, wenn man zu genau hinschaute. Allison las eine zerfledderte Kinderzeitschrift, und zwei offiziell aussehende Frauen mit Namensschildern versuchten gegenüber, mit einem schlaffgesichtigen alten Mann zu reden. Er saß schwerfällig und zusammengesunken auf seinem Stuhl, als sei er betrunken, und starrte auf den Boden; seine Hände baumelten zwischen den Knien, und sein kecker Tirolerhut war ihm über das Auge gerutscht. »Na, sie will ja nicht hören«, sagte er eben und schüttelte den Kopf. »Um nichts in der Welt lässt sie es langsamer angehen.«
    Die beiden Frauen sahen einander an. Die eine setzte sich neben ihn.
    Dann war es dunkel, und Harriet wanderte allein

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