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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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undeutliches Geräusch. Es war weniger der Hals, was ihr wehtat, als vielmehr der Nacken. Und ihre Nase, die vom Rückstoß des Revolvers getroffen worden war, war äußerst berührungsempfindlich, aber obwohl sie sich dick geschwollen anfühlte, schien niemand sonst etwas davon zu bemerken.
    Der Arzt hörte Harriets Herz ab und ließ sie die Zunge herausstrecken. Unbeirrt und eindringlich schaute er mit einer kleinen Lampe in ihren Rachen. Harriets Kiefer schmerzte unangenehm, und sie richtete den Blick hinüber zu dem Tupferspender und der Flasche Desinfektionsmittel auf dem Tisch neben ihr.
    »Okay«, sagte der Arzt seufzend und nahm den Holzspatel aus ihrem Mund.
    Harriet ließ sich zurücksinken. Ihr Magen krampfte sich scharf zusammen. Das Licht pulsierte organgegelb durch ihre geschlossenen Lider.
    Edie und der Arzt sprachen miteinander. »Der Neurologe kommt alle zwei Wochen«, sagte er. »Vielleicht kann er morgen oder übermorgen von Jackson heraufkommen ...«
    Immer weiter redete er mit seiner monotonen Stimme. Und wieder fuhr ein Stich durch Harriets Bauch – so furchtbar, dass sie sich auf der Seite zusammenkrümmte und die Hände in den Leib presste. Dann hörte es auf. Okay, dachte Harriet matt und dankbar vor Erleichterung, jetzt ist es vorbei, es ist vorbei...
    »Harriet«, sagte Edie laut, so laut, dass Harriet annahm, sie sei eingeschlafen, oder doch beinahe, »sieh mich an.«
    Gehorsam öffnete Harriet die Augen. Das grelle Licht tat weh.
    »Schauen Sie sich ihre Augen an. Sehen Sie, wie rot sie sind? Sie sehen entzündet aus.«
    »Die Symptome sind unklar. Wir müssen warten, bis die Befunde da sind.«
    Wieder zog Harriets Magen sich wütend zusammen; sie drehte sich auf den Bauch, weg vom Licht. Sie wusste, warum ihre Augen rot waren: Das Wasser hatte darin gebrannt.
    »Was ist mit dem Durchfall? Und dem Fieber? Und, du lieber Gott, diese blauen Flecken an ihrem Hals? Es sieht aus, als ob jemand sie gewürgt hätte. Wenn Sie mich fragen ...«
    »Möglicherweise liegt eine Infektion vor. Aber der Anfall ist nicht febril. Febril heißt...«
    »Ich weiß, was das heißt. Ich war Krankenschwester, Sir«, unterbrach Edie ihn knapp.
    »Nun, dann sollten Sie auch wissen, dass jegliche Dysfunktion des Nervensystems oberste Priorität hat«, antwortete der Arzt ebenso knapp.
    »Und die anderen Symptome ...«
    »Sind unklar. Wie gesagt. Zunächst geben wir ihr ein Antibiotikum und Flüssigkeit. Elektrolyte und Blutbild sollten wir bis morgen Nachmittag haben.«
    Harriet verfolgte das Gespräch jetzt aufmerksam und wartete darauf, dass sie an die Reihe kam. Aber schließlich konnte sie nicht länger warten und platzte heraus: »Ich muss gehen.«
    Edie und der Arzt drehten sich um und sahen sie an. »Ja, dann geh«, sagte der Arzt mit einer knappen Handbewegung, die für Harriet eine königliche und exotische Geste war, und er hob das Kinn wie ein Maharadscha. Als sie vom Tisch sprang, hörte sie, wie er nach einer Schwester rief.
    Aber draußen vor dem Vorhang war keine Schwester, und es kam auch keine. Verzweifelt tappte Harriet den Korridor hinunter. Eine andere Schwester – sie hatte kleine, glitzernde
Augen wie ein Elefant – kam schwerfällig hinter einem Schreibtisch hervor. »Suchst du was?«, fragte sie. Steifgliedrig und träge griff sie nach Harriets Hand.
    Ihre Langsamkeit versetzte Harriet in Panik; sie schüttelte den Kopf und rannte davon. Halb schwindlig flog sie durch den fensterlosen Flur, und ihre Aufmerksamkeit richtete sich ausschließlich auf die Tür mit der Aufschrift DAMEN am Ende des Korridors, und als sie an einer Nische mit ein paar Stühlen vorbeikam, blieb sie nicht stehen, um sich umzuschauen, als sie eine Stimme zu hören glaubte, die sie anrief: »Hat!«
    Und dann erschien plötzlich Curtis vor ihr. Hinter ihm, mit einer Hand auf seiner Schulter – das Mal in seinem Gesicht leuchtete blutrot wie eine Zielscheibe –, stand der Prediger (Donner und Blitz und Klapperschlangen), ganz in Schwarz.
    Harriet starrte die beiden an. Dann machte sie kehrt und rannte den hell erleuchteten, antiseptischen Flur hinunter. Der Boden war glatt, ihre Füße rutschten weg, und sie fiel hin, aufs Gesicht, rollte auf den Rücken und warf sich eine Hand über die Augen.
    Schnelle Schritte, quietschende Gummisohlen auf den Fliesen, und ehe Harriet sich versah, kniete die erste Schwester (die junge mit den Ringen und dem farbenfrohen Make-up) neben ihr. Bonnie Fenton stand auf ihrem

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