Der kleine Freund: Roman (German Edition)
auf der Haube, und drinnen hätte ein Liebespaar sitzen und sich küssen können.
Oft würde sie ihn in den kommenden Jahren so sehen – matt, vertraut, glanzlos –, weit hinten in den dünnen, sprachlosen Rändern ihrer Träume.
Es war zwei Uhr, als Harriet, nachdem sie kurz innegehalten und gelauscht hatte (aber die Luft war rein), durch die Hintertür ins Haus kam. Außer Mrs. Godfrey (die sie anscheinend nicht erkannt hatte) und Mrs. Fountain, die ihr von ihrer Veranda aus einen über die Maßen seltsamen Blick zugeworfen hatte (sie war schmutzig und streifig überzogen von Schleimsträngen, die an ihrer Haut kleben geblieben und in der Wärme festgebacken waren), war sie niemandem begegnet. Vorsichtig spähte sie nach rechts und links, und dann huschte sie durch den Flur zum unteren Bad und verriegelte die Tür hinter sich. Ein unerträglicher Verwesungsgeschmack brannte rauchig in ihrem Mund. Sie zog sich aus (der Geruch war abscheulich, und als sie sich das Girl-Scout-Hemd über den Kopf streifte, musste sie würgen), warf die Sachen in die Badewanne und drehte die Wasserhähne auf.
Edie erzählte oft die Geschichte, wie sie einmal beinahe an einer Auster gestorben wäre, die sie auf einer Hochzeit in New Orleans bekommen hatte (»So krank war ich nie wieder«). Sie wusste, dass die Auster schlecht war, sagte sie, kaum dass sie hineingebissen hatte; sie hatte sie sofort in ihre Serviette gespuckt, aber wenige Stunden später war sie zusammengebrochen und hatte ins Baptistenkrankenhaus gebracht werden müssen. Ganz genau so hatte Harriet in dem Augenblick, als sie das Wasser im Tank geschmeckt hatte, gewusst, dass sie davon krank werden würde. Die Fäulnis war in ihr Fleisch eingesickert, und nichts würde sie abwaschen können. Sie wusch sich die Hände und spülte sich den Mund aus, sie gurgelte mit Listerin und spuckte es aus, sie hielt die gewölbten Hände unter den Kaltwasserhahn und trank und trank und trank, aber der Geruch durchdrang alles, sogar das saubere Wasser. Er stieg aus den schmutzigen Kleidern in der Wanne, er stieg reif und warm aus den Poren ihrer Haut. Harriet schüttete eine
halbe Schachtel »Mr. Bubble« in die Badewanne und ließ das heiße Wasser laufen, bis ein unerhörter Schaumberg heraufquoll. Aber trotz des nervenbetäubenden Mundwassers blieb der Geschmack wie ein hässlicher Fleck auf ihrer Zunge und rief ihr besonders lebhaft die aufgedunsene Kreatur ins Gedächtnis, die halb versunken an der dunklen Wand des Tanks gedümpelt hatte.
Es klopfte. »Harriet«, rief ihre Mutter, »bist du das?« Harriet badete sonst nie im Erdgeschoss.
»Ja, Ma’am«, rief Harriet durch das Rauschen des Wassers.
»Machst du da Durcheinander?«
»Nein, Ma’am«, rief Harriet und betrachtete düster das Durcheinander.
»Du weißt, ich hab’s nicht gern, wenn du dieses Bad benutzt.«
Harriet konnte nicht antworten, da eine Welle von Magenkrämpfen sie erfasst hatte. Sie setzte sich auf den Wannenrand, starrte die verriegelte Tür an, presste sich beide Hände auf den Mund und wiegte sich vor und zurück.
»Ich hoffe, es gibt keinen Schmutz da drin.«
Das Wasser, das Harriet am Hahn getrunken hatte, kam wieder hoch. Sie behielt die Tür im Blick, erhob sich vom Wannenrand – vor Leibschmerzen zusammengekrümmt – und ging auf Zehenspitzen, so leise sie konnte, zur Toilette. Kaum hatte sie die Hände vom Mund genommen, brach es aus ihr hervor: ein verblüffender Schwall von klarem, stinkendem Wasser, das ganz genauso roch wie das abgestandene Wasser, in dem Danny Ratliff ertrunken war.
Harriet trank noch mehr Wasser aus dem Hahn, wusch ihre Kleider und wusch sich selbst. Sie ließ das Wasser ablaufen, schrubbte die Wanne mit Scheuerpulver, spülte Schleim und Dreck weg und stieg noch einmal hinein, um sich selbst abzuspülen. Aber es nützte nichts – trotz Unmengen von Wasser und Seife fühlte sie sich gebeizt und voll gesogen von Fäulnis, so verfärbt und elend, dass sie den Kopf hängen ließ wie ein ölverschmutzter
Pinguin, den sie einmal drüben bei Edie in einem National Geographic- Heft gesehen hatte und der kläglich in einem Eimer gestanden und die kleinen, verschmierten Flossenflügel abgespreizt hatte, damit sie seinen besudelten Körper nicht berührten.
Harriet ließ noch einmal das Wasser aus der Wanne und schrubbte sie sauber; dann wrang sie ihre nassen Kleider aus und hängte sie zum Trocknen auf. Sie versprühte Desinfektionsmittel, sie besprühte sich
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