Der kleine Freund: Roman (German Edition)
gewesen, da sei er zur Jagd nach Kanada gefahren. Bei einem so jämmerlichen Ehemann sei es kaum überraschend, dass Charlotte geistig nicht mehr die Alte sei.
»Es wäre besser«, erklärte Edie wütend, »wenn er sich einfach von ihr scheiden ließe. Charlotte ist noch jung. Und da ist
dieser nette junge Willory, der kürzlich das Grundstück draußen bei Glenwild gekauft hat, der ist aus dem Delta, er hat ein bisschen Geld...«
»Na ja«, murmelte Adelaide, »Dixon sorgt schon gut für sie.«
»Ich sage nur, sie könnte einen viel besseren Mann finden.«
»Und ich sage, Edie, der Spatz in der Hand ist besser als die Taube auf dem Dach. Ich weiß nicht, was aus der kleinen Charlotte und den Mädchen werden würde, wenn Dix nicht ein so gutes Gehalt hätte.«
»Gut«, sagte Edie, »das stimmt auch wieder.«
»Manchmal frage ich mich«, sagte Libby mit bebender Stimme, »ob es richtig war, dass wir Charlotte nicht dazu gedrängt haben, nach Dallas zu ziehen.«
Nicht lange nach Robins Tod war davon die Rede gewesen. Die Bank hatte Dix eine Beförderung angeboten, wenn er nach Texas umziehen wollte. Ein paar Jahre später hatte er versucht, sie alle dazu zu überreden, in irgendeine Stadt in Nebraska zu ziehen. Die Tanten waren weit davon entfernt gewesen, Charlotte und die Kinder zum Umzug zu drängen – im Gegenteil, sie waren beide Male in Panik geraten, und Adelaide und Libby und sogar Ida Rhew waren wochenlang bei dem bloßen Gedanken in Tränen ausgebrochen.
Harriet blies auf die Unterschrift ihres Vaters, obwohl die Tinte schon trocken war. Ihre Mutter schrieb ständig Schecks auf dieses Konto aus, da sie davon die Rechnungen bezahlte, aber Harriet hatte festgestellt, dass sie die Auszüge nicht im Auge behielt. Sie hätte den Country Club ohne weiteres bezahlt, wenn Harriet sie darum gebeten hätte, aber Camp Lake de Selby dräute schwarz und grummelnd am Horizont, und Harriet hatte keine Lust, sie durch Wörter wie Country Club und Schwimmbad daran zu erinnern, dass das Anmeldeformular noch nicht gekommen war.
Sie stieg auf ihr Fahrrad und fuhr hinüber zum Country Club. Das Büro war verschlossen. Alle waren zum Lunch im Speiseraum. Sie ging den Gang hinunter zum Pro Shop, wo sie Helys
großen Bruder Pemberton traf, der hinter der Theke eine Zigarette rauchte und in einer Hi-Fi-Zeitschrift blätterte.
»Kann ich dir dieses Geld hier geben?«, fragte sie. Sie mochte Pemberton. Er war in Robins Alter, und er war Robins Freund gewesen. Jetzt war er einundzwanzig, und manche Leute fanden, es sei eine Schande, dass seine Mutter seinem Vater ausgeredet hatte, ihn auf die Militärakademie zu schicken, als es noch etwas bewirkt hätte. Zwar war Pem auf der High School beliebt gewesen, und sein Bild war auf praktisch jeder Seite im Jahrbuch des letzten Schuljahrs zu finden, aber er war auch ein Faulenzer und so etwas wie ein Beatnik. Auf dem College – Vanderbilt, Ole Miss und sogar Delta State – hatte er es nicht lange ausgehalten und wohnte jetzt wieder zu Hause. Seine Haare waren noch viel länger als Helys. Im Sommer arbeitete er als Bademeister im Country Club, und im Winter schraubte er nur an seinem Auto herum und hörte laute Musik.
»Hey, Harriet«, sagte Pemberton. Wahrscheinlich war er einsam, dachte Harriet, so ganz allein im Pro Shop. Er trug ein zerrissenes T-Shirt, karierte Baumwollshorts und Golfschuhe ohne Socken. Die Überreste eines Hamburgers mit Pommes frites lagen auf einem Teller mit dem Monogramm des Country Clubs, der neben ihm auf der Theke stand. »Komm rüber und hilf mir, ein Autoradio auszusuchen.«
»Ich verstehe nichts von Autoradios. Ich will nur diesen Scheck bei dir lassen.«
Pem strich sich mit einer grobknochigen Hand die Haare hinter die Ohren und nahm dann den Scheck, um ihn zu begutachten. Er war langgliedrig, von lässiger Haltung und sehr viel größer als Hely, aber er hatte die gleichen zerzausten, blond gesträhnten Haare, oben hell und darunter dunkler. Auch seine Gesichtszüge erinnerten an Hely, aber sie waren feiner geschnitten, und seine Zähne waren ein bisschen schief, aber auf eine Weise, die sie irgendwie ansehnlicher erscheinen ließ, als wenn sie gerade gewesen wären.
»Tja, du kannst ihn hier lassen«, sagte er schließlich, »aber ich weiß nicht genau, was ich damit machen soll. Hey, ich wusste gar nicht, dass dein Dad in der Stadt ist.«
»Ist er auch nicht.«
Pemberton zog durchtrieben die Braue hoch und zeigte auf das Datum.
»Er
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