Der kleine Freund: Roman (German Edition)
fließende Kulissen, wehender Widerhall, reflektiertes Licht. Und das alles rieselte ihr wie Salz durch die tauben Finger.
Pemberton Hull fuhr vom Country Club in seinem babyblauen ’62er Cadillac Cabrio nach Hause (das Chassis musste gerichtet werden, der Kühler war undicht, und es war höllisch schwer, Ersatzteile aufzutreiben, er musste sie in irgendeinem Lager in Texas bestellen und dann zwei Wochen warten, bis sie kamen, aber trotzdem war der Wagen sein Schatz, sein Baby, seine einzige wahre Liebe, und jeder Cent, den er im Country Club verdiente, ging entweder für Benzin oder für Reparaturen drauf), und als er um die Ecke in die George Street einbog, strich das Licht seiner Scheinwerfer über die kleine Allison Dufresnes, die ganz allein vorn auf der Verandatreppe saß.
Er hielt vor dem Haus an. Wie alt war sie? Fünfzehn? Siebzehn? Bei Minderjährigen drohte Knast, aber er hatte eine glühende Schwäche für schlaffe, abgefahrene Mädchen mit dünnen Armen, denen die Haare in die Augen fielen.
»Hey«, sagte er zu ihr.
Sie sah nicht erschrocken aus; sie hob nur den Kopf, so verträumt und vernebelt, dass es in seinem Nacken kribbelte.
»Wartest du auf jemanden?«
»Nein. Ich warte nur so.«
Caramba , dachte Pem.
»Ich fahre zum Drive-in«, sagte er. »Kommst du mit?«
Er rechnete damit, dass sie nein sagen würde, oder Ich-kannnicht, oder Ich-muss-meine-Mutter-fragen, aber stattdessen strich sie sich das bronzefarbene Haar aus den Augen, wobei ihr Amulettarmband klingelte, und sagte (einen Tick zu spät, aber das gefiel ihm an ihr, diese träge, schläfrige Dissonanz): »Warum?«
»Warum was?«
Sie zuckte nur die Achseln. Pem war fasziniert. Allison hatte so etwas... Abwesendes, er wusste nicht, wie er es sonst nennen sollte, sie schlurfte beim Gehen, und ihre Haare waren anders als bei den andern Mädchen, und ihre Kleider waren ein bisschen daneben (wie das geblümte, das sie jetzt trug und das eher zu einer alten Lady gepasst hätte), aber ihre Unbeholfenheit war von einer nebelzarten Schwerelosigkeit, die ihn verrückt
machte. Bruchstückhafte romantische Szenarien (Auto, Radio, Flussufer) erwachten in ihm.
»Komm schon«, sagte er. »Bis zehn bring ich dich zurück.«
Harriet lag auf ihrem Bett, aß eine Scheibe Sandkuchen und schrieb in ihr Notizbuch, als vor ihrem offenen Fenster ein Auto angeberisch aufheulte. Sie schaute gerade noch rechtzeitig hinaus, um zu sehen, wie ihre Schwester mit wehenden Haaren in Pembertons offenem Wagen davonraste.
Auf der Fensterbank kniend, den Kopf zwischen den gelben Tüllgardinen hinausgestreckt, den gelben, trockenen Geschmack des Kuchens im Mund, spähte Harriet blinzelnd die Straße hinunter. Sie war völlig verblüfft. Allison ging niemals irgendwohin, höchstens die Straße hinunter zu einer der Tanten oder zum Einkaufen.
Zehn Minuten vergingen, dann fünfzehn. Harriet verspürte leise Eifersucht. Was um alles in der Welt hatten die beiden sich bloß zu sagen? Pemberton konnte sich doch unmöglich für jemanden wie Allison interessieren.
Als sie auf die beleuchtete Veranda hinunterstarrte (leere Schaukel, Ferdinand der Stier auf der obersten Stufe), hörte sie ein Rascheln in den Azaleen am Rand des Gartens. Zu ihrer Überraschung kam eine Gestalt zum Vorschein, und sie sah, wie Lasharon Odum vorsichtig Richtung Rasen schlich.
Harriet kam nicht auf den Gedanken, dass sie das Buch holen wollte. Etwas an Lasharons kriecherischer Schulterhaltung machte sie rasend, und ohne nachzudenken schleuderte sie den Rest ihres Kuchens aus dem Fenster.
Lasharon schrie auf. Im Gebüsch hinter ihr kam jäh Unruhe auf, und ein paar Augenblicke später huschte ein Schatten über den Rasen und wieselte mitten auf der hell beleuchteten Straße davon, in einigem Abstand gefolgt von einem kleineren, stolpernden Schatten, der nicht so schnell rennen konnte.
Die Knie wieder auf der Fensterbank, streckte Harriet den Kopf zwischen den Gardinen hinaus und starrte einige Augenblicke auf das funkelnde Stück Asphalt, wo die kleinen Odums
verschwunden waren. Aber gläserne Stille erfüllte die Nacht draußen. Kein Blatt rührte sich, keine Katze schrie. Der Mond leuchtete in einer Pfütze auf dem Gehweg. Sogar das klingende Windspiel auf Mrs. Fountains Veranda war stumm.
Gelangweilt und verärgert verließ sie ihren Posten. Sie vertiefte sich wieder in ihr Notizbuch und hatte fast vergessen, dass sie auf Allison warten wollte, als sie gereizt hochfuhr, weil vorn eine
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