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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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Dancerina- und Chrissy-Puppen, die sie gar nicht hatte haben wollen, sich aber trotzdem gewünscht hatte, weil die anderen Mädchen in der Schule sie auch hatten... die Mäusefamilie mit Perücken und eleganten französischen Kostümen, die Harriet im Schaufenster eines sehr, sehr teuren Geschäfts in New Orleans gesehen, um die sie gebettelt, geweint, geschwiegen hatte, und das Abendessen verweigert hatte, bis Libby und Tat und Adelaide sich schließlich aus dem Pontchartrain Hotel geschlichen und ihr Geld zusammengelegt hatten, um sie ihr zu kaufen. Das Weihnachtsfest der Mäuse: das glücklichste Weihnachtsfest ihres Lebens. Nie war sie so fassungslos vor Freude gewesen wie da, als sie die wunderschöne
rote Schachtel geöffnet und einen Sturm von Seidenpapier aufgewirbelt hatte. Wie konnte ihre Mutter jeden Fetzen Zeitung horten, der ins Haus kam – und wütend werden, wenn Ida nur ein Blättchen davon wegwarf –, und trotzdem versuchen, Harriets Mäuse an dreckige kleine Fremde zu verschenken?
    Denn genau das war passiert. Im vergangenen Oktober war die Mäusefamilie, die oben auf Harriets Kommode gestanden hatte, verschwunden. Nach einer hysterischen Suche hatte Harriet sie auf dem Speicher ausgegraben, zusammengewürfelt mit ein paar anderen Spielsachen in einer Kiste. Als sie ihre Mutter zur Rede stellte, gab sie zu, dass sie ein paar Sachen, von denen sie glaubte, dass Harriet nicht mehr damit spielte, eingesammelt hatte, um sie unterprivilegierten Kindern zu schenken, aber anscheinend war ihr nicht klar, wie sehr Harriet die Mäuse liebte, oder dass sie hätte fragen sollen, bevor sie sie wegnahm. (»Ich weiß, dass deine Tanten sie dir geschenkt haben, aber hat nicht Adelaide oder eine von ihnen dir auch die Dancerina-Puppe geschenkt? Und die willst du doch auch nicht mehr haben.«) Harriet bezweifelte, dass ihre Mutter sich an diesen Zwischenfall überhaupt noch erinnerte, und ihr verständnisloser Blick bestätigte diesen Verdacht.
    »Verstehst du denn nicht?«, rief Harriet verzweifelt. »Das sind meine Spielsachen!«
    »Sei nicht selbstsüchtig, Darling.«
    »Aber sie gehören mir!«
    »Ich kann nicht glauben, dass du diesen armen kleinen Kindern ein paar Sachen missgönnst, obwohl du zu alt bist, um noch damit zu spielen.« Charlotte blinzelte verwirrt. »Wenn du gesehen hättest, wie glücklich sie waren, als sie Robins Spielsachen bekamen ...«
    »Robin ist tot .« »Wenn Sie diesen Kindern irgendwas geben«, erklärte Ida Rhew düster und fuhr sich mit dem Handrücken über den Mund, während sie hinter dem Haus wieder auftauchte, »ist es dreckig oder kaputt, bevor die damit zu Hause ankommen.«

    Nachdem Ida Rhew Feierabend gemacht hatte, fischte Allison Ferdinand der Stier aus der Mülltonne, trug das Buch zurück auf die Veranda und untersuchte es im Dämmerlicht. Es war auf einem Haufen Kaffeemehl gelandet, und die Seitenränder wellten sich unter einem braunen Fleck. Mit einem Papierhandtuch putzte sie es ab, so gut sie konnte, und dann nahm sie einen Zehn-Dollar-Schein aus ihrem Schmuckkästchen und schob ihn unter den vorderen Einbanddeckel. Zehn Dollar, dachte sie, waren sicher mehr als genug, um für den Schaden aufzukommen. Wenn Mrs. Fawcett sähe, in welchem Zustand das Buch war, würden sie dafür bezahlen oder ihren Bibliotheksausweis abgeben müssen, und für kleine Kinder wie sie wäre es unmöglich, das Bußgeld allein zusammenzukratzen.
    Sie setzte sich auf die Verandatreppe und stützte das Kinn auf die Hände. Wenn Weenie nicht gestorben wäre, würde er jetzt neben ihr schnurren, die Ohren flach angelegt, den Schwanz wie einen Haken um ihren bloßen Knöchel geschlungen, und mit schmalen Augen über den dunklen Rasen hinweg in die rastlose, von Echos durchzogene Welt der Nachtgeschöpfe spähen, die für sie unsichtbar war: mit Schneckenspuren und Spinnweben, glasflügeligen Fliegen, mit Käfern und Feldmäusen und all den kleinen, wortlosen Dingen, die sich quiekend oder zirpend oder auch stumm abrackerten. Deren kleine Welt war auch Allisons Heimat, das spürte sie, das geheime Dunkel von Sprachlosigkeit und hektischen Herzschlägen.
    Wolkenfetzen zogen schnell über den Vollmond hinweg. Der Tupelobaum rasselte im Wind, und die Unterseiten seiner Blätter sträubten sich fahl in der Dunkelheit.
    An die Tage nach Robins Tod konnte Allison sich fast überhaupt nicht erinnern, aber an eine seltsame Sache erinnerte sie sich doch: wie sie, so hoch sie konnte, auf den Baum

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