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Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Der kleine Freund: Roman (German Edition)

Titel: Der kleine Freund: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Donna Tartt
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einen neuen Mann für das Kreuzworträtsel, und der macht es so schwer. Alle möglichen alten französischen Wörter und Wissenschaft und solche Sachen.« Mit der stumpfen Spitze ihres Bleistifts deutete sie auf ein paar verschmierte Quadrate. »› Metallisches Element ‹. Ich weiß, dass es mit T anfängt, denn Tora ist auf jeden Fall das erste der fünf Bücher der hebräischen Schrift, aber es gibt kein Metall, das mit T anfängt. Oder?«
    Harriet studierte das Rätsel einen Augenblick lang. »Du brauchst noch einen Buchstaben. Thorium hat sieben Buchstaben. Thulium aber auch.«
    »Darling, du bist so gescheit. Davon hab ich noch nie gehört.«
    »Also«, sagte Harriet, »sechs senkrecht: ›Ägyptischer Steinpfeiler‹. Das ist ein Obelisk. Also ist das Metall Thorium.«
    »Du meine Güte! Sie bringen euch Kindern heutzutage so viel bei in der Schule! Als wir klein waren, haben wir kein bisschen über diese schrecklichen alten Metalle und solche Sachen gelernt. Bei uns gab es nur Arithmetik und europäische Geschichte.«
    Zusammen arbeiteten sie an dem Kreuzworträtsel – ratlos standen sie vor einem Wort für »zweifelhafte Frau« mit fünf Buchstaben, der erste ein D –, bis Odean schließlich wieder hereinkam und anfing, so energisch mit ihren Töpfen zu klappern, dass sie gezwungen waren, sich in Libbys Zimmer zurückzuziehen.
    Libby, die älteste der Schwestern Cleve, hatte als Einzige nie geheiratet, auch wenn sie alle (mit Ausnahme der dreimal verheirateten Adelaide) im Grunde ihres Herzens Jungfern waren. Edie war geschieden. Niemand sprach je über die mysteriöse Verbindung, aus der Harriets Mutter hervorgegangen war, obwohl Harriet darauf brannte, etwas darüber zu erfahren, und ihre Tanten nach Kräften löcherte. Aber abgesehen von alten Fotos, die sie gesehen hatte (schwaches Kinn, helles Haar, schmales Lächeln) und gewissen faszinierenden Halbsätzen (»... gern ein Glas getrunken...« »... sich selbst der schlimmste Feind...«), wusste Harriet über ihren Großvater mütterlicherseits eigentlich nur, dass er einige Zeit in einem Krankenhaus in Alabama verbracht hatte, wo er vor ein paar Jahren gestorben war. Als Harriet kleiner gewesen war, hatte sie (aus Heidi ) die Idee geborgt, dass sie selbst die Kraft sein könnte, die der Familie zur Versöhnung verhalf, wenn man sie nur einmal zu ihm ins Krankenhaus bringen wollte. Hatte nicht auch Heidi den mürrischen Schweizer Großpapa oben in den Alpen bezaubert und ihn »ins Leben zurückgebracht «?
    »Ha! Darauf würde ich mich nicht verlassen«, sagte Edie zu dem Vorschlag und riss heftig an dem verknoteten Faden auf der Rückseite ihrer Näharbeit.
    Tat war es besser ergangen in ihrer zufriedenen, wenn auch ereignislosen neunzehnjährigen Ehe mit dem Eigentümer eines Sägewerks, Pinkerton Lamb, in der Gegend bekannt als Mr. Pink. Er war vor Allisons und Harriets Geburt an einer
Hobelmaschine mit einer Embolie tot umgefallen. Der umfängliche, höfliche Mr. Pink (viel älter als Tat, eine farbenprächtige Gestalt in seinen Wickelgamaschen und Norfolk-Jacketts) hatte keine Kinder zeugen können. Man hatte von Adoption gesprochen; daraus war nie etwas geworden, aber Tat ließ sich weder durch Kinderlosigkeit noch durch Witwenschaft aus der Fassung bringen. Tatsächlich hatte sie fast vergessen, dass sie jemals verheiratet gewesen war, und sie reagierte mit milder Überraschung, wenn man sie daran erinnerte.
    Libby – die alte Jungfer – war neun Jahre älter als Edie, elf Jahre älter als Tat und volle siebzehn Jahre älter als Adelaide. Blass, flachbrüstig und schon in ihrer Jugend kurzsichtig, war sie nie so hübsch gewesen wie ihre jüngeren Schwestern, aber der eigentliche Grund, weshalb sie nie geheiratet hatte, bestand darin, dass der selbstsüchtige alte Richter Cleve, dessen geplagte Frau bei Adelaides Geburt gestorben war, sie gedrängt hatte, zu Hause zu bleiben und ihn und die drei kleineren Mädchen zu versorgen. Indem er an die selbstlose Natur der armen Libby appelliert und es fertig gebracht hatte, die wenigen Freier zu vertreiben, hatte er sie in »Drangsal« behalten: als unbezahlte Haushälterin, Köchin und Cribbage-Partnerin, bis er starb, als Libby Ende sechzig war und mit einem Berg Schulden und buchstäblich ohne einen Penny zurückblieb.
    Ihre Schwestern plagte deswegen das Gewissen, als seien sie und nicht ihr Vater an Libbys Knechtschaft schuld gewesen. »Schändlich«, sagte Edie. »Siebzehn Jahre alt, und

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